Wir treffen in dem Buch auf Bess, die in einer Imbisstoilette einen Schwangerschaftstest macht und feststellt, dass dieser positiv ausfällt. Es ist das Jahr 1999, sie ist 15 Jahre alt und der Vater des ungeborenen Kindes hat sich seit Wochen nicht bei ihr gemeldet oder auf ihre Anrufe reagiert. Darüber hinaus ist das Verhältnis zu ihrer Pflegemutter gerade noch angespannter als sonst und die einzige, der sie sich anvertraut, ist ihre beste Freundin Eshal. Die allerdings hat gerade auch ihre eigenen Sorgen, mit Eltern die sie nach Tradition ihrer Herkunft, in eine arrangierte Ehe führen möchten.
Bei diesem Buch ist das passiert, was ich als Leserin am meisten liebe: Ein Buch wird entdeckt (im diesem Fall auf der Longlist für den Women's Prize for Fiction 2022) und löst sofort den Impuls aus, alles andere liegen zu lassen und es zu kaufen und zu lesen. Hier war es für mich die absolut richtige Entscheidung, denn es hat mich vollkommen überzeugt.
Die Autorin war selber im Kinder-und Jugendhilfe System untergebracht und kennt daher die Probleme, die die Strukturen dort mit sich bringen aus eigener Erfahrung. Man merkt in jeder Zeile, die Empathie für die Hauptfigur und kommt dieser auf diese Weise sehr nah. Es wird unglaublich gut ein Verständnis für die Situation bei den Lesenden geweckt. Die Geschichte wirkt durchgehend authentisch und realitätsnah. Das Verhalten aller Charaktere wird sehr nachvollziehbar, auch mit allen Ambivalenzen, gezeichnet und schlüssig dargestellt.
Auf intensive Weise leuchtet die Autorin die Grenzen des Care-Systems aus, die sich genau so auf das deutsche System übertragen lassen. Das Kernproblem wird nur allzu deutlich: Bedingungslose Liebe, wie sie insbesondere Kinder und Jugendliche dringend brauchen, bekommt man nur sehr schwer woanders her, als von den leiblichen Eltern.
Darüber hinaus werden anhand der Geschichte von Bess Freundin Eshal das Thema Rassismus und der Umgang damit gut in die Geschichte eingeflochten. Auch wird am Beispiel dieser Familie, mit viel Respekt und Feingefühl, auf das Dilemma eingegangen, sich zwischen eigenen Wünschen und den Erwartungen der Familie aufgerieben zu fühlen.
Ein sehr gutes Buch, für das ich auf eine Übersetzung ins Deutsche hoffe, damit es hier noch mehr LeserInnen erreichen kann.