Rezension zu "Ins Licht gerückt" von Klas Östergren
Was man ist oder zu sein scheint
Eine Politikerin, die Gefahr läuft, ihre Glaubwürdigkeit und ihren Job zu verlieren. Ein Außenseiter, der plötzlich sein Leben ändern will und in neuem Licht erscheint. Ein Autor, der nach einer Geschichte sucht, wo keine zu finden ist – oder doch? Drei sehr verschiedene Menschen sind es, mit denen in Klas Östergrens „Ins Licht gerückt“ genau dies geschieht: Ihr Leben wird beleuchtet und genau angeschaut. Ein namenloser Erzähler versucht, sie zu verstehen, einer, der alle diese Drei persönlich kennt und beobachtet, involviert ist, wenn auch immer etwas abseits, als Beobachter.
Die Politikerin, die unserem Erzähler von den drei Protagonisten am nächsten ist, droht, den Boden unter den Füßen zu verlieren, als sie bei einem Banküberfall die falschen Worte sagt, den Tathergang hervorsagt und daher in den Verdacht gerät, eine Komplizin zu sein. Der Einzelgänger erkennt plötzlich die Institution Kirche für sich, mit der er seit Jahren nichts zu tun hatte. Und der Autor bekommt den Auftrag, über das Besondere einer Familie zu schreiben, über ihre Abgründe, Konflikte – und findet einfach keine.
Drei Novellen sind es also, die dieser Erzähler uns präsentiert, alle knapp 100 Seiten lang, mit keinem Berührungspunkt außer dem einem, nämlich demjenigen, der uns das alles erzählt. Wie er das macht, verdient Beachtung: Ganz genau wird da beobachtet, fast schon seziert und vor allem wird reflektiert, über diese drei und das, was ihnen passiert, vor allem aber über das Leben an sich. Thema dieser Novellen ist auch der Erzähler selbst.
Die Art und Weise, wie von den drei Menschen erzählt wird, ist ebenso wichtig. Für diesen Erzähler sind es keine feststehende Geschichten, die sich so und nicht anders ereignet haben, sie sind veränderbar. Oder hat er sie am Ende doch völlig erfunden? Etwas weggelassen? Hinzugefügt?
„Es ist recht ungewöhnlich, sich als Hauptperson für eine Erzählung jemanden auszusuchen, der einen so kompletten Widerstand leistet und im richtigen Leben fast alles tut, um unattraktiv und ohne jeden Charme dazustehen. Wenn der Leser etwas anderes erlebt hat, dann ist das ein künstlerischer und moralischer Erfolg. Künstlerisch insofern, als es mir gelungen wäre, aus einer Katastrophe eine sinnvolle Lektüre zu machen. Moralisch insofern, als der Leser bereit wäre, Begriffen wie „attraktiv“ oder „Charme“ neuen Inhalt zu verleihen.“ S. 169
Der Erzähler erlaubt sich, das Erzählte zu verändern: „Auf die Gefahr hin, unentschlossen zu wirken, könnte ich mir vorstellen, diese Geschichte auch ein paar Stunden später beginnen zu lassen, in einem Restaurant in der Altstadt, an einem anderen Tisch, in einer ganz anderen Tonlage, einer anderen und viel angenehmeren Stimmung.“ S. 197
Am Ende ist klar: So genau unser Erzähler auch hinschaut, analysiert und reflektiert, er weiß nicht, wie es wirklich ist und genauso ergeht es dem Leser: Wer lügt, wer sagt die Wahrheit? Was sind die wahren Beweggründe der beobachteten Menschen, so und nur so zu handeln? Was denkt mein Gegenüber wirklich? Das, was es sagt? Oder doch etwas ganz Anderes? Verwirrt uns der Erzähler vielleicht ganz absichtlich? So bleiben am Ende einige Fragen offen, auch wenn der Erzähler uns die Antworten zu geben scheint.