Wenn Sie jemals auf der kleinen Brücke über dem Tanger im Süden der Stadt Tangermünde gestanden haben, wenn Sie durch die Elbwiesen geschlendert sind, die Gassen der Stadt erkundet, die Storchennester rund um das alte Rathaus gezählt haben, sich vor dem Grete-Minde-Denkamal fotografieren ließen, ein Ratsherrenmenü auf der Burg oder ein Grete-Minde-Vermächtnis in den Exempel-Gaststuben gegessen haben und schließlich in das Herz der Stadt, die Heilige Stephanskirche, getreten sind, dann werden Sie ganz deutlich fühlen können, was Theodor Fontane dazu bewegte, seine Novelle "Grete Minde" zu schreiben: Die Stadt wurde vom Feuer gereinigt.
Fegefeuer heißt noch immer bei den Katholiken der Ort, an dem die Seele gereinigt wird.
Feuer transformiert Altes, Überholtes zu Asche, damit daraus Neues wachsen kann.
Im Märchen von Hänsel und Grete(l) lässt sich die nährende Urmutter, verkörpert in der Hexe, in den Backofen, in das Feuer, schieben, um den Kindern ein unabhängiges Leben zu ermöglichen.
Lucifer, der Lichtträger, wird häufig mit Prometheus, dem Vorausdenkenden, verglichen. Beide bringen den Menschen das Licht, Prometheus in Form des Feuers. Sie ermöglichen eine Trennung von der geistigen Welt mit der Option, sich ihr wieder zu nähern.
In der Offenbarung des Johannes wird Jesus Christus zum zweiten Morgenstern nach Lucifer, der ebenfalls das Licht in sich trägt. Lucifer führt durch die Fähigkeit zur Beherrschung des aufsteigenden Feuers nach "oben", Christus kam als Fleisch gewordene Liebe nach "unten".
Liest man Fontanes Novelle vor diesem Hintergrund, wird deutlich, dass sie von Anfang an auf die Erlösung der Stadt Tangermünde und Gretes ausgerichtet ist. Nicht Rache ist das Motiv für die Feuerbrunst, sondern Reinigung.
Nicht zufällig ist Grete Tochter einer spanischen Katholiken, die in der Stiefmutter und Schwägerin ihre vorantreibenden Antagonisten findet. Der Prinz, der das Aschenputtel nur vorübergehend erlösen kann, heißt Valtin, in Anlehnung an den Patron der Liebenden, ist aber nicht stark und gesund, wie sein Name verspricht, sondern stirbt, nicht ohne Grete das Versprechen einer Rückkehr nach Tangermünde abzunehmen. Die junge Mutter findet noch immer keine Liebe in der Stadt. Der Stiefbruder verweigert ihr das mütterliche Erbe und auch die Ratsherren schenken der kostbaren Perle (Grete) mit dem schönen Geist (Mind-e) kein Gehör.
Die Hartherzigkeit von Tangermünde mündet in der erlösenden Transformation durch das Feuer. Aus der Asche und Gretes Opfer wird eine herzliche Stadt, der nur ein Dichter mit einem großen Herzen ein so großartiges Denkmal setzen kann.
Meinen Dank und meine Hochachtung an Theodor Fontane!
Vera Seidl