«Auf Jahre hinweg scheint die Lage ausweglos, weil die unterschiedlichen politischen Lager ihre diplomatischen Beziehungen abgebrochen haben. Die Kombattanten sind das Weiße Haus, Fox News, rechte Trolle und ultrakonservative Radiomoderatoren auf der einen, CNN, New York Times, Washington Post und progressive Blogger auf der anderen Seite. Apokalyptische Szenarien, wahnhafte Verdrehungen und permanente Attacken gegen den Feind bestimmen den politischen Alltag.»
Die deutschen Journalisten, Stephan Lamby und Klaus Brinkbäumer haben die Zeit des Trump-Wahlkampfes zur Wiederwahl genau beobachtet und analysiert. Sie gehen auch zurück zu Richard Nixon, ziehen Vergleiche – welche Macht hätte Nixon gehabt, hätte er die technischen Möglichkeiten gehabt? Es geht zurück zu Trumps Anfängen in Geschäft und Politik, zu seinem Werdegang. Letztendlich ist das Thema die gespaltene USA, daraus folgend die Auswirkungen für die Welt. «Polarisierung bedeutet in Amerika, dass zwei Hälften in diesem Land nicht mehr miteinander reden können». Es kommen eine Menge Menschen zu Wort, die die Journalisten interviewt haben. Bundesaußenminister Heiko Maas; Sebastian Gorka, ein amerikanischer Politikwissenschaftler, bis 25. August 2017 Deputy Assistant für das Executive Office of the President of the United States; Anthony Scaramucci, der ehemalige Kommunikationschef des Weißen Hauses; Jill Lepore, Harvard-Historikerin; Jim Acosta, Journalist der CNN; Susan Glasser von The New Yorker und viele andere.
«... das Geständnis aus dem Zentrum der Macht. ‹Wir machen das ständig›, sagte Mick Mulvaney. Der Stabschef im Weißen Haus des Präsidenten Donald Trump erklärte am 17. Oktober 2019 explizit und auf mehrfache Nachfrage, dass Trumps Regierung fast 400 Millionen Dollar zurückgehalten habe, damit die ukrainische Regierung Ermittlungen gegen Joe Biden, Trumps politischen Gegner, aufnehme. ‹Ja›, sagte er erneut auf die Frage, ob diese Darstellung stimme. Und: ‹Get over it›, kriegt euch wieder ein.»
Im Klappentext steht: «Die amerikanische Demokratie galt einstmals als unzerstörbar. Sie hat die Sklaverei und den Bürgerkrieg überlebt, den Vietnamkrieg, die Kuba-Krise und Watergate. Heute befinden sich die Vereinigten Staaten mitten in einem neuen Bürgerkrieg ...» Komisch. Ich habe mich zeitlebens gefragt, ob die USA nicht eine Pseudo-Demokratie sind. Ein Land, das eine Verfassung mit Menschenrechten schreibt, dabei die Ureinwohner systematisch umbringt, sich Slaven aus Afrika hält – gut, die Sklaverei wurde abgeschafft. Aber noch zu meiner Kindheit hatten Schwarze juristisch weit weniger Rechte als Weiße! Zu meiner Kindheit wurden Martin Luther King und Malcolm X abgeknallt, zwei schwarze Bürgerrechtler. Sacco und Vanzetti, zwei Gewerkschaftler, wurden nach einem fingierten Prozess 1927 zum Tode verurteilt, um sie loszuwerden, erst im Jahr 1977 durch den Gouverneur von Massachusetts Michael Dukakis rehabilitiert. Nichtweiße haben in den USA heute auf dem Papier gleiche Rechte, faktisch werden sie weiterhin diskriminiert. Ein Sozialdemokrat gilt in weiten Teilen der USA bis heute als Kommunist, was gleich Feind bedeutet. Die Wahlgesetze verschärfen sich Jahr um Jahr – mal ganz davon ab, dass diese aus den Zeiten des Wilden Westens stammen und nicht mehr in die heutige Zeit passen – es werden Nichtweiße und arme Menschen in ihrem Wahrecht systematisch immer weiter ausgegrenzt. Die sozialen Gesetze und das Finanzsystem sind für Reiche gestrickt. Die USA hat sich ständig in andere Länder eingemischt, deren Regierungen ihnen nicht passten, geholfen, Präsidenten zu stürzen und Militärs finanziert.
«Es gibt einen Spruch, der Präsident Franklin D. Roosevelt zugeschrieben wird. In den dreißiger Jahren soll er über den nicaraguanischen Diktator Somoza gesagt haben: ‹Er ist ein Hurensohn. Aber er ist unser Hurensohn.»
Als Beispiel Allende in Chile – und das Massaker, das durch Pinochet an Sozialisten angerichtet wurde: US-Botschaftler sollten chilenische Kongressabgeordnete bestechen, 250.000 Dollar standen zur Verfügung, um Salvador Allende nicht zum Präsidenten zu wählen. Doch das klappte nicht. Ein CIA-Killerkommando entführte dann General Schneider, der dummerweise dabei verletzt wurde und verstarb. Das allerdings stützte ebenfalls Allendes Macht, der Chiles Unabhängigkeit von den USA anstrebte. Nun folgten eine Menge Aktionen durch die CIA in Chile, die die Wirtschaft ins Wanken brachten, 8 Mio. Doller standen zur Verfügung um Unruhe zu stiften – Allende blieb im Sattel. Das Militär wurde nun unterstützt und ihnen wurde seitens der USA Zusammenarbeit zugesagt. General Pinochet stürmt den Präsidentenpalast, Allende wurde erschossen (von wem auch immer). Dann folgte die Machtübernahme durch die Junta, die ein wahres Massaker durchführte: Sozialisten flohen nach Europa – zehntausende Linke pferchte die Militärjunta in Fußballstadien, folterten die Menschen bestialisch – später gab es Massenexekutionen, die Leichen wurden heimlich in versteckten Massengräbern verscharrt. Die Verfolgung der Allendeanhänger hätten Nixon und Kissinger verhindern könnten! Henry Kissinger versucht, sich heutzutage herauszureden, und Alexander Haig sagt noch heute, dass daran nichts Unredliches war: «Er war ja ein Linker.» (Allende) Das Interview mit Kissinger ist sehr interessant in diesem Buch. «Die CIA destabilisierte aus reinem Machtkalkül demokratische Regierungen und lieferte Geld und Waffen an Diktatoren und Drogenkartelle.» Lateinamerika leidet bis heute darunter. Es folgte der Nahe Osten, der heute total destabilisiert ist. Deshalb frage ich mich stets, was jemals an den USA rein demokratisch war?
«Der Bundesstaat New York hat 19 Millionen Einwanderer, Kalifornien fast 40 Millionen. ... Der Bundesstaat Wyoming hat 575.000 Einwohner, North Dakota 762.000. Nicht jedes Klischee stimmt, und immer gibt es Ausnahmen, doch in diesem amerikanischen Landesinnern wird republikanisch gewählt, mehrheitlich. Das verursacht eine dreifache Ungerechtigkeit: 50 Bundesstaaten schicken jeweils zwei Senatoren nach Washington, D.C.; es gibt keine Abstufung nach Größe der Staaten. Eine Stimme aus Wyoming hat also, umgerechnet auf die Einwohnerzahl, 69 Mal so viel Gewicht wie eine Stimme aus Kalifornien. 30 Senatoren aus bevölkerungsreichen Staaten wie New York oder Kalifornien stehen für 70 Prozent der Bevölkerung, und umgekehrt: 70 Senatoren, die weites, einsames Land vertreten, stehen für nur 30 Prozent der Bevölkerung. Dieser windschief aufgestellte Senat ernennt nun Richter auf Lebenszeit, hat Budgethoheit, er ist so mächtig wie wichtig. Ist das noch Demokratie?»
Die Autoren sagen, für Republikaner existiert der Klimawandel nicht, Migration ist lebensbedrohlich für Amerikaner (und wo kommen die Amerikaner her?), Steuern sind sozialistisches Gedankengut (damit die Faulen nicht arbeiten müssen), Abtreibung muss gesetzlich verboten werden, jeder Amerikaner hat das Recht auf Waffen im Haus, CNN und The New Yorker lügen. Jetzt mal ehrlich – was ist daran neu? Ich kenne die USA nicht anders. Gut, der Ton ist schärfer und es gibt heute noch mehr Lügen – aber grundsätzlich ist das nicht neu. Das Wahlrecht ist so alt wie der Wilde Westen, dazu gehört auch das «Electoral College» bei der Präsidentenwahl, bei dem jeder Bundesstaat Wahlleute stellt, die den Präsidenten wählen. Natürlich sind auch hier die Staaten im Landesinnern bevorteilt, weil es auch hier nicht nach Einwohnerzahl geht. Das alles erklären die Autoren, um zu erläutern, wie Trump Präsident werden konnte. Denn eins ist neu: Dieser Präsident brachte in seinen ersten 1267 Amtstagen 20.055 Lügen und Unwahrheiten auf den Tisch, statistisch 16 pro Tag, die alle von der Washington Post gelistet sind. Aber nicht nur das, der gesamte Stab machte hierbei mit und Trump-Regierung schaffte sich eine eigene Wahrheit. Das ist wirklich neu in der amerikanischen Geschichte.
«Die andere Partei wurde zum ‹Feind›, deren Politiker wurden ‹Verräter› und ‹Verbrecher›, die ‹unser Land nicht lieben›, und Präsident Bill Clinton sollte in einer Art politischer Treibjagd erlegt werden.»
Newton Leroy «Newt» Gingrich, ein Republikaner der von 1979 bis 1999 als Kongressabgeordneter des Bundesstaates Georgia und von 1995 bis 1999 als Sprecher des Repräsentantenhauses agierte, wird als Schlüsselfigur der amerikanischen Geschichte angeführt, weil er die Zusammenarbeit im Kongress mit den Demokraten beendete. Es gab plötzlich kein Verhandeln mehr, massive Feindbilder gegen die Demokraten wurden aufgebaut. Ein aggressiver, rauer Ton wurde angeschlagen und erstmals Medien zum Zweck eingesetzt. Ob jemand lügt, interessiert nicht – Hauptsche, man trifft den Gegner hart. George W. Bush: «Wir sind ein Imperium. Wenn wir handeln, erzeugen wir unsere eigene Wirklichkeit.» Genauso ging Trump mit der Coronakrise um. Ein Virus, das nicht schlimm ist, leicht zu handeln.
«Der Erfolg Donald Trumps ist indirekt auf die Neuausrichtung des AM-Radios zurückzuführen.»
Der Medienwissenschaftler Brian Rosenwald ist der Meinung, dass die riesige Konkurrenz der Radiosender Trump bei der Wahl geholfen hat, auch das wird von den Autoren erklärt. In den ländlichen Gebieten sind diese Radiosender extrem konservativ in ihrer Ausrichtung und oft das einzige, was man empfangen kann. Die Medien haben sich konzentriert. «Von 1970 bis 2016 sind 500 Zeitungen eingestellt worden.» Eine neutrale Presse, die Lügen und ethische Verstöße aufzeigt, wird immer weniger gelesen. Unterhaltung und News vermischen sich. Ein pöbelnder Trump hat eben einen hohen Unterhaltungswert. Und wenn der Präsident etwas sagt, dann muss dies stimmen. Die Medien berichten darüber, ohne Fakten zu checken: Der Präsident hat gesprochen. Für Trump sind alle geisteskrank, deren Handeln ihm nicht passt: «crazy Democrats, Thunberg als geisteskrankes Kind, Nancy Pelosi ist eine sehr kranke Person, diese Leute sind alle krank.» Und dieser Frame funktioniert, je mehr er ihn wiederholt. Ein Kapitel in diesem Buch behandelt die Coronakrise, einen Virus, den Trump schlicht ignorierte. Der gewaltsame Tod des Afroamerikaners George Floyd wird angesprochen und das Problem von Rassismus. Nur leider kommt hier kein Schwarzer zu Wort – Schade. Auch Frauen haben in diesem Sachbuch nicht viel zu sagen. Kritisiert wird der alte weiße Mann – aber wer schreibt hier – und wie schreiben die beiden Journalisten? Das ist für mich hochinteressant. Warum kommen hier kaum Frauen zu Wort und warum nur weiße Männer? Alles, was hier beschrieben ist, in Interviews gesagt wird, ist eigentlich bekannt. Doch wenn man das es komprimiert noch einmal vor Augen hat, kribbelt es auf der Haut. Und man ist beruhigt, dass Joe Biden am Ruder ist. Trump ist Geschichte – hoffentlich. Ein interessantes Sachbuch über amerikanische Geschichte, die Trump Ära, den Medienkrieg in den USA und die gesellschaftliche Spaltung.
Klaus Brinkbäumer ging 2007 als Korrespondent des SPIEGEL nach New York. Von 2015 bis 2018 war er Chefredakteur des SPIEGEL. Er gewann u.a. den Egon-Erwin-Kisch-Preis, den Henri-Nannen-Preis und wurde 2016 Chefredakteur des Jahres. Seit 2018 schreibt er für DIE ZEIT und den Tagesspiegel. Zu seinen Büchern zählen «Der Traum vom Leben - Eine afrikanische Odyssee», «Nachruf auf Amerika» und «Das kluge, lustige, gesunde, ungebremste, glückliche, sehr lange Leben» (zusammen mit Samiha Shafy). Brinkbäumer lebt in New York.
Stephan Lamby ist Fernsehautor und Produzent und war als freier Journalist in New York tätig. Er hat mit zahlreichen ARD-Dokumentationen das politische Deutschland abgebildet, darunter «Nervöse Republik», «Im Labyrinth der Macht», «Die Notregierung». Er wurde vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Deutschen Fernsehpreis, der Goldmedaille der New York Festivals, der Goldenen Kamera und als Journalist des Jahres 2018. Ein Teil seiner Familie lebt in Amerika.
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