Rezension zu "Ich habe die Bibel geträumt" von Klaus Mayer
Dieses Buch ist nicht sehr umfangreich - bescheidene 80 Seiten, von denen viele nicht einmal zur Hälfte mit Text gefüllt sind oder aus Abbildungen bestehen.
Dennoch bietet es einen wunderbaren Schlüssel zum Verständnis der religiös geprägten Kunstwerke des Malers Marc Chagall, dessen Leben und Werk wohl wenige Menschen so intensiv durchdrungen haben wie Monsignore Klaus Mayer, ehemals Pfarrer zu St. Stephan in Mainz, dessen Initiative diese Kirche ihr herausragendes Fensterensemble von Marc Chagall verdankt.
Mayers Schreibstil - und auch die innere Struktur des vorliegenden Buches - fand ich anfangs etwas gewöhnungsbedürftig und würde beides als "frei-assoziativ" beschreiben. Wenn man nicht mit der Erwartung eines reinen Sachbuches an die Texte herangeht, sondern damit rechnet, dass diese durchaus auch der Kontemplation dienen wollen, spart man sich eventuell ein wenig Frust ob der mangelnden Systematik. Mayer wechselt zwischen Episoden aus der Biografie des Malers und Anekdoten aus seinen zahlreichen Treffen mit ihm, Erläuterungen zu (Elementen aus) einzelnen Kunstwerken und der relativ umfassenden Ausdeutung der Persönlichkeit Chagalls als "Mystiker" mit den dafür als klassisch dargestellten Eigenschaften Bescheidenheit, Folgsamkeit, innere Schau, Treue und Leiden. Die Rolle des Gebets wird ebenso beleuchtet wie die Notwendigkeit des Geliebtseins, damit Chagall seine Kunst hervorbringen konnte. Diese und weitere Unterthemen sind in kleinen Kapiteln von z.T. nur einer Seite angelegt.
Kritisieren muss ich eine begriffliche Unschärfe bzw. die fehlende Erläuterung für den Umstand, dass Mayer das Leben Chagalls im Buch mehrfach als "von der Bibel geprägt" darstellt. Da hätte ich gern gewusst, ob er, da Chagall ja Jude war, eigentlich den Tanach (also im Prinzip das Alte Testament) meint oder, wenn tatsächlich von der Bibel als Altem UND Neuem Testament die Rede ist (und das legen Chagalls Kunstwerke nahe), wie es denn dazu kam, dass Chagall einen solchen Zugang auch zu den Inhalten des Neues Testaments gefunden hat. Dazu werde ich mich anderswo belesen müssen.
Trotz der Kürze des Buches gelingt es Mayer aber meines Erachtens gut, eine kunsthistorisch nicht sonderlich gebildete Leserin wie mich für die Vielschichtigkeit der religiösen Elemente in Chagalls Kunstwerken zu sensibilisieren, sie überhaupt erst einmal wahrnehmbar und dann auch deutbar zu machen. Ich werde das Büchlein sicher irgendwann noch einmal lesen und dann auch, weil ich darauf eingestellt bin, den meditativen Charakter der Texte stärker zu würdigen wissen. Auf jeden Fall hat das Buch in mir den Wunsch geweckt, mich intensiver mit Marc Chagall und seinen Kunstwerken zu beschäftigen.