Cover des Buches Erik Neutsch Spur des Lebens (ISBN: 9783360019851)
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Rezension zu Erik Neutsch Spur des Lebens von Klaus Walther

Rezension zu "Erik Neutsch Spur des Lebens" von Klaus Walther

von Heike110566 vor 13 Jahren

Rezension

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Heike110566vor 13 Jahren
Er wurde von der sowjetischen Besatzungsmacht Ende 1945 für neun Monate in einem NKWD-Gefängnis gefangen gehalten. Seine Romane "Spur der Steine" (1964), mit einer halben Millionen Exemplaren einer der meistverkauften Romane der DDR, und "Auf der Suche nach Gatt" waren zeitweilig verboten. Und dennoch: Erik Neutsch hat nichts von jenen Autoren, die sich nach der sogenannten Wende im Herbst 1989 als Dissidenten präsentierten. In dem Protokoll einer Plenarsitzung der ehemaligen Akademie der Künste der DDR, die nunmehr nach dem Anschluss der DDR an die BRD Akademie der Künste (Ost) sich nannte, hieß es: "'Auch Erik Neutsch erklärte seine Bereitschaft, seine Mitgliedschaft zur Disposition zu stellen, nicht zur Disposition stellte er sich als marxistischer Schriftsteller.'" (in diesem Buch, S. 166) - Natürlich war damals sein Schicksal in der Akademie besiegelt. Neutsch ist ein Mann, der zu sich steht, der sich nicht verbiegt und nicht einfach anpasst, nur um seine Bücher zu verkaufen. Das war in der DDR so und dies ist heute nicht anders. Er ist Kommunist, mit jeder Faser seines Körpers. Weil er aber immer auch Mißstände und Fehlentwicklungen im real existierenden Sozialismus der DDR in seinen Büchern anprangerte, sprach man ihn auch nach dem 40. Jahrestag der DDR an, auf der Montagsdemo in Halle, analog zu Kurt Masur in Leipzig, als Prominenter zu reden. Dies lehnte er, trotz aller Kritik, die er selber an dem real existierenden Sozialismus hatte, ab, weil sein Instinkt ihm sagte: "daß die Republik, die - trotz allem! - nach meiner Ansicht bisher größte Errungenschaft der deutschen Arbeiterbewegung, bis in die Grundfesten zerstört werden würde, wenn sie einmal ins Wanken geriete." (S. 174) Seine Kritik an den Verhältnissen in der DDR richtete sich nicht gegen die DDR als solches, sondern die Diskrepanz zwischen real existierendem DDR-Sozialismus und den sozialistischen Idealen. Er sah die Revolution in der DDR auf halber Strecke stehengeblieben und mahnte so in seinen Werken, dass die Revolution noch lange nicht vollendet ist. Seine kritischen Worte sollten den Sozialismus voranbringen und nicht destabilisieren. "In meinen Augen hat die DDR, der zum ersten Mal in der tausendjährigen Geschichte Deutschlands staatlich gewordene Versuch, eine Gesellschaft ohne Banken und Monopole, Hochadel und Großgrundbesitzer und deren Macht- und Militärapparat zu errichten, womit die Quellen für Ausbeutung und Kriege trockengelegt wurden, eine ähnliche große Bedeutung wie die frühbürgerliche Revolution zu Beginn des 16. Jahrhunderts mitsamt den Bauernkriegen und der Reformation. Was auch damals folgte, weiß man ja. Nach der Niederschlagung der Aufstände 'für nichts als die Gerechtigkeit Gottes', wie auf den Fahnen der Bauern zu lesen war, die blutigste Rache der Fürsten, die Restauration und die Gegenreformation. Wie sich jedoch gezeigt hat, ist diese Art zu denken vielen Leuten zu anstrengend gewesen. Danach zu leben erst recht." (S. 88f.) Er sah im Herbst 1989 die DDR nicht als gescheitert, sondern als ein Land, das eher wieder animiert werden müsste, auf dem Weg seiner Ideale wieder zurückzukehren. Ich bin seit vielen Jahren eine begeisterte Leserin der Bücher des Autors. "Der Friede im Osten" hat es mir besonders angetan. Dieser Romanzyklus, der stark autobiographisch geprägt ist, war von Anfang an auf sechs Bücher angelegt. 1974 erschien das erste Buch, Titel "Am Fluß", und 1987 das vierte Buch mit dem Titel "Nahe der Grenze", welches bislang auch das letzte Buch des Zyklus war. Ich bedauerte dies sehr und hatte mich gedanklich schon damit abgefunden, dass die Lebensgeschichte um Achim Steinhauer unvollendet bleibt. Aber auch da steht Neutsch zu dem einmal Gesagten. Der Zyklus ist auch weiterhin auf sechs Bücher angelegt und derzeit arbeitet der Autor an dem fünften Buch und auch das Konzept des sechsten steht bereits. Erik Neutsch ist ein faszinierender Mann. Sein Engagement für die Interessen der einfachen Menschen, die auch immer Haupthandlungsträger in seinen Geschichten sind, ist für mich in dieser Form einmalig. Mit großem Interesse las ich daher diese Biographie und erfuhr so die Hintergründe, warum Neutsch der ist, der er ist. Über anderthalb Jahre hat Klaus Walther immer wieder Gespräche mit dem Schriftsteller, der vor wenigen Monaten 80 Jahre alt wurde, geführt. Diese Interviews kann man nun in diesem Buch nachlesen. Die Gespräche sind sehr interessant. Nicht nur inhaltlich betrachtet, sondern auch in Form und Sprache und damit Verständlichkeit auch für den Leser. Es ist kein hochtrabendes intellektuelles Geschwafel. Erik Neutsch ist zwar ein renommierter, sehr beliebter Schriftsteller der DDR gewesen, aber er ist deshalb nicht abgehoben. Er kam als Arbeiterkind aus der einfachen Bevölkerung und er ist auch als Autor auflagenstarker Romane seiner Klasse treu geblieben. So wie seine Romane von einer in einer einfach gehaltenen Sprache, aber dennoch sehr großer Ausdrucksstärke geprägt sind, so ist auch der Ton in diesem Buch. Allen Neutsch-Mögern sei dieses Buch daher anempfohlen. Seine Bücher werden so noch um einiges verständlicher. Aber auch Leuten, die den Autor bislang nicht kennen, sich aber für deutsche Geschichte interessieren, ist dieses Buch anzuraten. Seit dem Anschluss der DDR an die BRD wird zwar viel über die DDR geredet und man könnte denken, dass schon alles gesagt ist, nur eben nicht von jeden, aber im Rampenlicht der Diskussion um dieses Thema gelangen fast nur die, die Extrempositionen, in die eine oder die andere Richtung, vertreten. Neutsch betrachtet die DDR zwar auch marxistisch und so könnte man dazu neigen, dass auch er in dieses Schema passt, aber er betrachtet sie sehr differenziert. Und das ist nach wie vor etwas besonderes. Die Interviews sind so ein empfehlenswertes, facettenbereicherndes zeitgeschichtliches Mosaiksteinchen in der DDR-Betrachtung.
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