Ein augenöffnendes Buch, das tatsächlich meine Haltung zum Ukraine-Krieg und dazu, wie mit ihm umzugehen ist, verändert hat.
Das Buch widmet sich drei Themen: Unser Umgang mit und unser Stellenwert bei den USA, unsere Rolle in der EU und das Erkennen und die diplomatische Durchsetzung unserer nationalen Interessen, mit einem klugen Abstecher in das Thema der nationalen Identität. Dohnanyi beweist umfassende historische und politische Bildung und verfügt aus seiner Zeit als Politiker über einschlägige Erfahrung.
Das Buch kam vor dem Ausbruch des Ukrainekrieges heraus. Was für mich sehr für Dohnanyis Standpunkt spricht, ist, dass er den Ausbruch des Krieges vorhersagt, wenn bestimmte politische Aktionen nicht unterlassen und bestimmte Verhaltensweisen nicht verändert werden. Das geschah nicht - und nun haben wir den Salat. Mich macht das ganz beklommen - wie kriegen wir denn nun die Kuh vom Eis? Gehen wir derzeit in die falsche Richtung? Wenn D. recht hat, machen wir damit alles nur noch schlimmer.
Dohnanyi ist der Verfechter der geduldigen, unpädagogischen Diplomatie in der Annäherung an Russland. Auf der einen Seite. Auf der anderen Seite mahnt er zu mutigem Handeln - den Amerikanern gegenüber. Er kann glaubwürdig belegen, dass wir schlecht beraten wären, uns weiterhin zum Instrument der amerikanischen geopolitischen Interessen machen zu lassen. Vor allem auch warnt er davor, sich dem Antagonismus der USA gegenüber China anzuschließen.
Er kann auch belegen, dass nicht Putins grundsätzliche Machtgier, sondern historische Gründe und schwerwiegende diplomatische Fehler, vor allem seitens der Amerikaner, den Angriff auf die Ukraine ausgelöst haben. Das diplomatische Versagen der USA, zur Zeit des Mauerfalls geschlagen mit ihrem bislang dümmsten Präsidenten George. W. Bush, hat Russland an die Seite Chinas und von Europa weg getrieben. D. zitiert hierzu, wie für alle seine Behauptungen, viele Quellen aus Politik und Diplomatie.
Dohnanyis Ansatz in Sachen Europapolitik hat mich ebenfalls überzeugt: Gnadenlos pragmatisch und ergebnisorientiert plädiert er für den Verzicht auf Sanktionen, juristischen Zwang und pädagogischen Anspruch und setzt auf Vorbild und - siehe oben - geduldige Diplomatie.
Nicht oder ungenügend berücksichtigt wurde aus meiner Sicht die Angst der baltischen Staaten vor einer russischen Übernahme und das historische Verhalten Russlands ggü. Polen und der ehemaligen Tschechoslowakei. Hier sehe ich Widersprüche und hätte mir eine explizite Einordnung Dohnanyis gewünscht.
Stilistisch ist das Buch recht trocken geraten, wenn auch sprachlich souverän. Das hat zu tun mit D.s völligem Verzicht auf propagandistische oder dramatisierende Sprache - was ich sehr positiv bewerte. Es gibt die für Sachliteratur übliche Redundanz, aber das hält sich in Grenzen und ist auch, aufgrund der Komplexität der Themen, nicht ohne Nutzen. Am Schluss fasst D. seine Standpunkte noch einmal zusammen und spricht konkrete Handlungsempfehlungen aus.
Insgesamt: Ein substantielles Buch mit sehr bedenkenswerter Sichtweise.
Klaus von Dohnanyi
Lebenslauf
Quelle: Verlag / vlb
Alle Bücher von Klaus von Dohnanyi
Nationale Interessen
Das deutsche Wagnis
Neue Rezensionen zu Klaus von Dohnanyi
Rezension zu "Nationale Interessen" von Klaus von Dohnanyi
Erkenne die Lage.
Rechne mit deinen Defekten,
gehe von deinen Beständen aus,
nicht von deinen Parolen.
Gottfried Benn
Der Glasbläser
[Auszug aus dem Buch]
Das Buch war informativ, aufschlussreich und umfangreich geschrieben. Wen das Thema Politik interessiert, kommt hier voll auf seine Kosten. Es werden Themen wie:
• Europa auf dem Weg zu einer Wirtschaftsmacht
• Der National Staat
• Militärischer Schutz durch die Nato
Und noch vieles mehr angesprochen und behandelt. Es ist sehr detailreich aufgebaut und geschrieben worden. Es wird sich mit vielen Themen näher befasst und ist somit sehr interessant zu lesen gewesen.
Wir empfehlen das Buch allen die sich für Politik interessieren und sich gerne mit dem Thema auseinandersetzen möchten.
Rezension zu "Nationale Interessen" von Klaus von Dohnanyi
Zeitenwenden und ihre Folgen für Deutschland
Was Not tut in dieser umfassenden Krise der Welt, die durch einige große, aber auch viel kleinere Krisen inzwischen als eine tatsächlich gesamte, lebensbedrohende Krise erscheint, ist Orientierung.
Eine Orientierung, die sich, gegen den Duktus der Zeit, nicht nach „Meinungen“ alleine oder „Emotionen“ oder „Behauptungen“ ausrichtet, sondern immer wieder die erkennbaren Fakten als Grundlage einer notwendigen anderen Ausrichtung der Zukunft setzt und interpretiert.
Was in diesem Werk dem gefestigten und hoch erfahrenen Politiker und „elder statesmann“ Klaus von Dohnanyi ruhig, sachlich und durchaus eindringlich gelingt.
Mit der zugleich wohltuenden Haltung und Grundlage des Autors, dass auch seine Einlassungen „streitig“ zu werden haben. Und dass dies gewünscht ist, nicht als „Übel“ angesehen wird. Mit dem Ziel, in der konkreten Lage Deutschlands aktuell im Kanon der Nationen die ebenfalls konkreten Möglichkeiten, die Lage und die Kräfte des Landes realistisch einzuschätzen.
Eine Herangehensweise, ein Stil, eine Form der Darlegung, die einfach notwendig ist zur Zeit und der man am Ende eher hilflos nur wünschen kann, in all dem Geifer der Welt (hinter dem harte und pragmatische Machtansprüche stehen und dieses Medium des „Geiferns“ reuelos für eigene Zwecke benutzen) Gehör zu finden. Wie man seit Langem ja schon darauf hofft, dass auch die ruhigen, vernünftigen Stimmen wieder einmal Gehör finden dürfen.
Aktuell nun allerdings ist die Lage auch in den Augen von Dohnanyis zutiefst beunruhigend.
„Europa fehlt es an Handlungsfähigkeit für wichtige Entscheidungen“.
Sei es der Krieg in der Ukraine ganz aktuell, der Umgang mit Russland allgemein schon seit Jahren, der Brexit, die Klimaproblematik, die Rohstoffkrisen, die Migrationsdynamik, die massiv noch zunehmen wird. Es gilt: „Um uns herum entsteht eine neue Welt“. Und im Gegensatz zu den Jahrhunderten und Zeitenwenden zuvor fehlt der „alten Welt“ scheinbar jeder Optimismus, jede Spannkraft, jedwedes „Licht am ende des Tunnels“, um die krisenhaften Veränderungen mit Kraft anzugehen. Stattdessen bilden Abtrennungen, Geifer in den sozialen Medien und eine sich steigernde Bereitschaft auch zur physischen Gewalt und völliger Ablehnung von konsensualen Wegen die Blaupause, auf die all die massiven Bedrängungen und Bedrohungen nun fast ungefiltert treffen.
Was auch das Individuum hart betrifft und trifft. Denn neben den sich stark entfaltenden Bedrohungen „aus dem Osten“, erodiert das westliche System auch von innen heraus. Nicht nur durch das Brodeln vielfacher Vorurteile in den Emotionen der Völker, zudem, das könnte gar die größten Folgen noch zeigen und könnte die wichtigste Ursache für das Auseinanderdividieren der Welt sein, die „soziale Kälte“ des ungebremsten Kapitalismus, wie ihn die USA seit Jahren bereits massiv „auf die Welt loslassen“ führt zu sozialen Verwerfungen, welche die Gesellschaften der Welt in den Grundfesten erschüttern. Das Primat des materiellen Gewinns „vor allem Sozialen“ trennt und trennt immer mehr in „Gewinner“ (wenige) und „Verlierer“ (die Masse) unter den Bewohnern des Planeten. Wenn Russland vorgeworfen wird, dass Menschen „nur als Material“ betrachtet werden, gilt dies, leider deutlich verdeckter, in gleicher Weise auch für das aktuelle Wirtschaftssystem.
Das hier dann Nationalismus, Eigensinn, Beschränkungen auf immer kleinere Gruppen „Gleichdenkender“ die Folge sind, verwundert nicht.
Umso wichtiger ist der ruhige, klare und sachliche Stil, tragfähig aufgebaut auf dem klaren Blick und die vielfachen praktischen Erfahrungen von Dohnanyis, was alles gemeinsam mit seinem fundierten Wissen dem Leser den Blick zielgerichtet werden lässt.
Das es am Ende auf eine einfache, klare und immer schon geltende Wahrheit hinausläuft, dass es „nur gemeinsam und mit vereinten Kräften“ gehen wird, mag dann lapidar klingen. Ist aber durch die Argumente im Buch absolut überzeugend dargelegt. Welche Kräfte Deutschland zu diesem Ziel noch mobilisieren kann (weniger als früher), das legt Dohnanyi durchaus mit Hoffnung (aber nicht mit blindem Optimismus) durchgehend vor Augen.
Eine sehr empfehlenswerte Lektüre.
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