Cover des Buches Hunger (ISBN: 9783548609744)
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Rezension zu Hunger von Knut Hamsun

Ein psychologisch dichtes Meisterwerk

von tuman7 vor 10 Jahren

Rezension

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tuman7vor 10 Jahren
Die Handlung von Knut Hamsuns erstem Roman ist schnell erzählt: Der namenlose Protagonist treibt sich in den Straßen Kristianias (heute Oslo) herum, stets auf der Suche nach etwas Geld für Nahrung und Obdach. Dieses Geld versucht er sich durch den Verkauf von Artikeln für Zeitschriften zu verdienen, ist dabei allerdings nicht sonderlich erfolgreich und muß die Stadt schließlich verlassen.

Bemerkenswert an diesem Buch ist also nicht der Verlauf der Handlung, sondern die ungeheuer dichte Charakterzeichnung des Protagonisten. Mit bedrückender Detailgenauigkeit schildert Hamsun den durch fortwährenden Hunger und ständige Not vorangetriebenen körperlichen und geistigen Verfall seines Helden - wobei das Buch durchaus auch die Vermutung erlaubt, daß nicht nur die Armut den geistigen Verfall verursacht, sondern auch eine schon zuvor bestehende geistige Instabilität die Armut mit erzeugt hat.

Keinesfalls ist nämlich der Held des Romans durch seine Not "abgebrüht" und gerissen geworden, immer auf der Suche nach dem eigenen Vorteil. Ganz das Gegenteil ist der Fall: Ständig zwischen Größenwahn und Selbstdemütigung schwankend verbringt er einen nicht unerheblichen Teil seiner Zeit damit, seine Armut vor anderen und vor allem auch vor sich selbst zu verheimlichen. Der Preis für diesen Fremd- und Selbstbetrug ist allerdings hoch, nämlich insofern, als daß der Protagonist mehr als einmal die ihm zufällig widerfahrenden glücklichen Ereignisse nicht zu nutzen weiß, die errungenen Erfolge bewußt und freiwillig aus der Hand gibt und sich zuletzt in größerer Not befindet als zuvor.

Die psychische Instabilität des Helden, auf Grund derer es ihm zu oft nicht gelingt, sein Selbstbild mit seiner objektiv jämmerlichen Lage in Übereinstimmung zu bringen, sorgt also mehr als einmal für objektiv irrationale Handlungen, die jedoch Hamsuns meisterhafte Charakterzeichnung nicht selten auf beunruhigende Art und Weise plausibel erscheinen läßt.

Zusammenfassend kann festgehalten werden: Hunger ist ein hochinteressantes Psychogramm einer unter dem Druck von Hunger und Armut zerfallenden Persönlichkeit und uneingeschränkt empfehlenswert.
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