Rezension zu "Anne Elliot oder Die Kunst der Überredung" von Jane Austen
Der letzte abgeschlossene, 1818 postum erschienene Roman Jane Austens (1775 – 1817), "Persuation", heißt in der deutschen Übersetzung mal "Überredung", mal "Verführung" und mal, wie hier auch das Hörbuch aus der SWR2-Reihe "Große Werke. Große Stimmen.", schlicht "Anne Elliot". Die Titelheldin hat zu Beginn des Romans ihre Jugend und ihre große Liebe bereits hinter sich. Mit 27 Jahren ist ihr Schicksal als alte Jungfer mutmaßlich besiegelt. Dass sie gut sieben Jahre zuvor ihre große Liebe, den Marineoffizier Frederick Wentworth, nicht geheiratet hat, ist den Einwänden ihres eitlen und selbstverliebten Vaters, dem Baronet Sir Walter Elliot, ihrer bornierten, kalten älteren Schwester Elisabeth und ihrer wohlmeinenden Patin und Freundin ihrer früh verstorbenen Mutter, Lady Russell, geschuldet. Alle haben damals an Annes Vernunft appelliert, die Verlobung mit dem mittellosen, nicht standesgemäßen Wentworth zu lösen, und die junge Anne hat sich wider besseres Wissen gefügt. Nun aber führt der Zufall die beiden unter gänzlich veränderten Bedingungen ein zweites Mal zusammen. Wentworth ist inzwischen hochdekorierter Captain in gesicherten finanziellen Verhältnissen und mit gesellschaftlichem Ansehen. Annes Familie dagegen musste aufgrund der Verschwendungssucht des Vaters und der älteren Schwester ihr Landgut Kellynch Hall vermieten und nach Bath übersiedeln. Mieterin ihres Besitzes ist ausgerechnet Frederick Wentworths Schwester, so dass eine erneute Begegnung unvermeidlich ist.
Jane Austens Romane liebe ich nicht wegen ihrer Spannung, denn wie sie ausgehen, ist nach wenigen Seiten gewiss. Unübertroffen sind vielmehr die präzisen Gesellschaftsbeobachtungen, die Beschreibungen von Engstirnigkeit, starren Regeln und Beschränkungen, sowie der leichte, ironische Ton, mit dem Jane Austen dies alles kommentiert. Bereits der Eröffnungssatz des Hörbuchs illustriert, wie messerscharf sie die Charaktere ihrer Figuren mit wenigen Worten durchdringt: „Sir Walter Elliot auf Kellynch Hall in Somersetshire nahm zu seiner eigenen Unterhaltung nie ein anderes Buch als den Adelsalmanach zur Hand.“ In "Anne Elliot" hat mir außerdem besonders gut gefallen, wie stark sich die Protagonistin im Laufe des Romans weiterentwickelt bei gleichzeitigem Stillstand ihrer Umgebung. Von Anfang an ist die stille Anne intelligenter, gewandter und mit mehr Gemütstiefe ausgestattet als die übrigen Familienmitglieder. Doch während sie sich als 19-Jährige noch bedingungslos unterordnet, steht sie acht Jahre später zu ihren Gefühlen und setzt sich, beflügelt durch ein neu erworbenes Selbstvertrauen, durch, als sie eine zweite Chance erhält.
Kornelia Boje liest mit extrem ruhiger Stimme und damit passend zur Titelheldin. Allerdings hätte ich mir gewünscht, dass der Humor und die Ironie Jane Austens besser zur Geltung kämen. Ich bedauere auch sehr, dass die Produktion aus dem Jahr 1998 auf einer mp3-CD mit knapp über acht Stunden nur eine gekürzte Lesung enthält und es kein Booklet gibt. Dafür ist der Preis von zehn Euro aber sehr günstig für dieses Hörvergnügen.
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