Eines vorweg: Dieses Buch zu lesen, ist anstrengend. Sehr anstrengend. Das liegt daran, dass es um mindestens 100 Seiten zu lang ist. Was wiederum daran liegt, dass der Autor sich ständig wiederholt. Und das, was er da ständig wiederholt, ist dermaßen einseitig und voreingenommen, dass es zum Himmel schreit.
Krzysztof Charamsa, der sich vom kleinen polnischen Priesterlein bis in die höchsten Ämter des Vatikans hochgearbeitet hat, hält nicht viel von seinen klerikalen Mitbrüdern. Sie wirken auf ihn wie eine Herde Menschen, „die unter Komplexen leiden und kreuzunglücklich sind, Menschen, die die Tatsache, dass sie ihre natürlichen Geschlechtsriebe, homo- oder heterosexueller Art, nicht ausleben können, dadurch kompensieren, dass sie auf der Karriereleiter nach oben klettern, viel Geld einsacken und auf Teufel komm raus nach Macht streben sowie danach, andere unterjochen zu können“ (S. 105).
Den Papst, damals noch Benedikt XVI., vergleicht er mit einem Hassprediger (S. 160/161); die römische Kurie ist in ihrer Gesamtheit eine „klatschsüchtige und bösartige Vettel“ (S. 142). Und die Glaubenskongregation, der er selbst 12 Jahre lang angehört hat, sieht er als eine Art Vatikan-KGB (S. 120), geleitet von Agenten, die „abgestumpft und borniert“, „verschlossen gegenüber jedem rationalen und freien Denken“ sind (S. 121). Ich könnte noch viele weitere solcher beleidigenden Pauschalverurteilungen aufzählen; Charamsas Buch ist voll davon. So voll, dass sich beim Lesen unwillkürlich zwei Fragen aufdrängen:
1. Woher kommt diese durchgängig negative, vor keinem antiklerikalen Klischee zurückschreckende Darstellung der katholischen Kirche?
2. Warum hat der Autor so lange in dieser Schlangengrube verlogener Heuchler und geifernder Fanatiker ausgeharrt, die er doch offenbar alle miteinander zutiefst verabscheut?
Als Antwort auf die zweite Frage drängt sich mir der unschöne, aber nicht unplausible Gedanke auf, dass Charamsa selbst zu den „in lange Gewänder gehüllten und fromm tuenden eingefleischten Karrieristen“ (S. 125) gehört(e), die er nun so pathetisch in Grund und Boden verdammt.
Die Frage Nummer 1 dürfte am ehesten ein kompetenter Psychologe beantworten können. Aber auch als inkompetente Nicht-Psychologin wage ich die Vermutung, dass es mit der beinahe lebenslangen sexuellen (Selbst-)Unterdrückung des Autors zu tun hat. Diese hat zu einer Art schwulem Tunnelblick geführt, mit dem Charamsa überall um sich herum nichts als Schwulenhasser und Krypto-Schwule sieht – häufig in ein und derselben Person.
Bezeichnend ist auch, dass Charamsa seinen Kollegen aus der Glaubenskongregation empört vorwirft, sich fast ausschließlich für das Sexualleben anderer Menschen zu interessieren (S. 133) – nur um dann selbst genüsslich-anzüglich Sex-Klatsch über den Papst-Sekretär, einen Sänger des vatikanischen Chors und alle möglichen anderen Monsignori zu verbreiten (S. 162/163).
Auf peinliche Weise komisch (oder vielleicht auf komische Weise peinlich) ist auch, was dem Autor so alles unter die Soutane fährt, um ihm dort … ähm, weiche Knie zu machen. Leonardo da Vincis Johannes der Täufer ist für ihn eine „sinnliche Jünglingsgestalt“ mit einem „übertrieben in die Länge gezogenen Zeigefinger“ (?!) (S. 166). Auf Michelangelos Fresken in der Sixtinischen Kapelle werden „schwule Küsse“ ausgetauscht (S. 169). Die Mess-Liturgie selbst ist für Charamsa ein „entschieden homosexuell wirkendes Spektakel“, in Gewändern zelebriert, „wie sie jeden Schwulen in Entzücken versetzen mussten“ (S.125).
Trotz dieser Anflüge unfreiwilligen Humors hat man spätestens ab dem dritten Teil des Buches, d.h. auf den letzten hundert Seiten, nichts mehr zu lachen, wenn der Autor sich in Prediger-Pose wirft und zu einem langen und unzusammenhängenden Schluss-Sermon ansetzt. Da wird die Unterdrückung der Homosexuellen mit dem Kreuzestod Christi verglichen (S. 210) und die katholische Kirche mit den Nationalsozialisten (S. 204). Aber der Leser erfährt auch etwas über Charamsas Paris-Reisen mit seinem „Verlobten“ Eduard (S. 216 ff) und die tolle Schwulen-Szene in Katalonien (S. 218). Anschließend wird eine ermüdend lange Reihe schwuler Film- und Buch-Titel aufgezählt, die den Autor alle tief bewegt haben, bevor er sein persönliches Gottesverständnis erläutert und von seinem Coming-Out berichtet. Nur ein einziges Mal zuckten meine Mundwinkel noch einmal schwach nach oben; als Charamsa behauptet, „frei von Ressentiments“ zu sein (S.242). Wer`s glaubt, wird selig!
Und so bleibe ich nach diesen mehr als anstrengenden 300 Seiten mit dem Bild einer psychisch total verkorksten Persönlichkeit mit egomanen Zügen zurück, die einem einerseits leid tun kann, einen andererseits aber auch abstößt. Wer eine auch nur ansatzweise ausgewogene und faire Auseinandersetzung eines Ex-Priesters mit der katholischen Kirche sucht, ist hier jedenfalls falsch.