Sylvin Rubinstein erzählte um die Jahrtausendwende als 87jähriger Kuno Kruse seine Geschichte. Eine Geschichte, die so unglaublich ist, wie sie nur das Leben selbst schreiben kann.
Geboren wurde er und seine Zwillingsschwester Marie 1914 in Galizien, als uneheliche Kinder einer jüdischen Tänzerin und eines russischen Fürsten, der in den Revolutionswirren im 1. Weltkrieg umgekommen ist. Gemeinsam mit Marie wendete er sein Leben dem Flamenco zu und trat europaweit in den großen Varietés auf, bis der Beginn des 2. Weltkrieges dem ein jähes Ende setzte. Es folgte eine Zeit des Grauens, der Angst und des Verstellens und Versteckens. 1941 sah er Maria zum letzten Mal. Den Verlust seiner über alles geliebten Zwillingsschwester hat Sylvin Rubinstein nie überwunden. Nur dank des deutschen Wehrmachtsoffizier Kurt Werner, der ihn unter seine Fittiche nahm, konnte er mit falschen Papieren überleben. Er agierte im Widerstand und erlebte das Kriegsende schließlich in Berlin.
Nach dem Krieg trat Rubinstein wieder mit Flamenco auf, doch alleine und in Frauenkleidern. So tanzte seine Schwester, die nicht zurück gekehrt ist, doch wieder ein Stück mit ihm auf der Bühne mit.
Ich habe mich nur ausgesprochen schwer an den Erzählstil von Kruse gewöhnen können, doch ich blieb bei der Stange, da die Geschichte dieses Mannes so faszinierend ist, dass man einfach nicht aufhören kann zu lesen und immer wieder verwundert den Kopf schüttelt, über solch ein Schicksal.
Nach ca. 100 Seiten hatte ich mich dann soweit eingefunden und mir gedacht, dass Kruse vielleicht sein Buch so gestaltet hat, wie die Erinnerung in Sylvin Rubinsteins Kopf aussehen könnten: nicht geradlinig, nicht anhand einer klaren, chronologischen Zeitlinie, sondern unsortiert, überlappend und immer wieder im Heute gedeutet. Immer wieder fließt auch das damals aktuelle Leben von Sylvin Rubinstein ein, der mit 87 Jahren noch jeden Tag tanzte.
So halte ich letztendlich den Stil zwar schwer lesbar, aber auch – nach nochmaligen Nachdenken – authentischer. Erinnerung funktioniert nicht wie ein Roman. Gut sind so auch die wörtlichen Zitate von Rubinstein in seiner eigenen und eigenwilligen Sprache.
Konsequenterweise sind die Kapitel nur nummeriert und nicht betitelt. In der Mitte des Buches sind einige, wenige Fotos vereint: aus der Vergangenheit und der Gegenwart.
Im April 2011 ist Sylvin Rubinstein im stolzen Alter von 97 Jahren in St. Pauli verstorben. Es wäre ihm zu wünschen, dass er bis zum letzten Atemzug habe tanzen können.
Fazit: Ergreifender Schicksalsbericht, trotz holprigem Schreibstil unbedingt lesenswert.