„Für Marcus Caelius, Sohn des Titus, eingeschrieben in den Stimmbezirk Lemonia, aus Bologna, Hauptmann (ersten Ranges) der 18. Legion; 53,5 Jahre alt. Er fiel im Krieg des Varus. Auch die Gebeine (der Freigelassenen) dürfen hier bestattet werden. Publius Caelius, Sohn des Titus, aus dem Stimmbezirk Lemonia, der Bruder, hat (den Grabstein) errichtet.“
So lautet die Inschrift des Grabsteines, der 1620 bei Fürstenberg gefunden wurde und um den herum im Jahre 2000 nach der Varusschlacht eine ganze Ausstellung errichtet worden ist.
Um es gleich vorweg zu nehmen: nach der Lektüre des Begleitbuches zur Ausstellung „Marcus Caelius – Tod in der Varusschlacht“ betrachtet man alte Grabsteine im Allgemeinen und Römische im Besonderen mit ganz anderen Augen. Denn die 185 Seiten des anschaulich und umfangreich illustrierten Buches beschreiben all das, was uns die gerade einmal 5- zeilige Inschrift, die Ausstattung der Halbfigur des Verstorbenen und nicht zuletzt die lädierten Schulterbüsten zweier Freigelassener über den Hauptmann und seine Zeit mitteilen. Und das ist unglaublich viel. Jedes Wort, jedes Detail des Bildes und des Grabmals war mit Bedacht dargestellt worden. So ein Grabmal war weitaus mehr als nur ein familiärer Erinnerungsstein an einen Verstorbenen.
Betrachtet man das Grabmal mit wissenschaftlich kulturgeschichtlichem Blick, so entfaltet sich allein durch die Inschrift die ganze Welt in der der Verstorbene gelebt hatte. Sozialer Status in Verbindung mit den gesellschaftlichen Strukturen und Regeln sind hier in Stein gemeißelt, ebenso wie Rang, Qualifikation oder politische Propaganda. Allein die Aussage „Er fiel im Krieg des Varus“ lässt auf die politischen Verhältnisse kurz nach der Varusschlacht schließen. Kein Wort von der verlorenen Schlacht, kein Hinweis auf den Tod des Feldherrn. Varus war nach dem Verlust dreier Legionen, zu denen auch Marcus Caelius gehörte, (noch) nicht in Ungnade gefallen.
53,5 Jahre war der Hauptmann alt geworden, immerhin aktiver Frontsoldat in der römischen Armee. Allein die Tatsache, das Alter so genau angeben zu können, lässt die hohe gesellschaftliche Stellung der Familie des Marcus Caelius erkennen. Es zeigt aber auch, wie die römische Armee strukturiert war, die bei ihren wichtigsten Offizieren Wert auf langzeitige militärische Erfahrung legte, Erfahrungen, über die die Vorgesetzten der Hauptleute in der Regel nicht verfügten.
Die Analyse des Grabsteins, die in Buch und Ausstellung vorgenommen wird, zeigt wie komplex das Gefüge der römischen Gesellschaft war. Es gab eben nicht nur den Unterschied zwischen römischen Bürgern und Nichtbürgern, sondern innerhalb der Bürgerschaft noch zahlreiche Differenzierungen. Denn für die Römer war die Herkunft, die Vergangenheit waren die Ahnen geradezu von existenzieller Bedeutung. So machte es einen gehörigen Unterschied, ob jemand frei geboren, also Nachkomme freier Bürger oder ob er beispielsweise nur Nachkomme Freigelassener war. Und selbstverständlich spielte es eine Rolle, ob der Bürger aus Rom selbst oder aus einer römischen Provinz stammte. Marcus Caelius jedenfalls konnte auf eine echte römische Abstammung zurückblicken, wie die auf den ersten Blick merkwürdig erscheinende Inschriftenteil „eingeschrieben in den Stimmbezirk Lemonia“ belegt.
Ist man erst einmal in die Lektüre des Buches „Marcus Caelius – Tod in der Varusschlacht“ eingestiegen, kommt man aus dem Staunen kaum heraus. Und nach jedem Kapitel wird man neugierig auf Mehr. Am Ende kann es einem passieren, dass man ganz besessen darauf ist, auch andere Grabmale zu betrachten und zu analysieren. Auch hier wird man in dem Buch durchaus fündig. Denn die unzähligen Informationen, die das Grabmal des Caelius liefert lassen sich ja nur deshalb herauslesen, weil man Vergleiche von Grabmalen anderer Personen hat, über die zusätzliche, beispielsweise archäologische oder literarische Quellen zur Verfügung stehen. Und natürlich geben auch die zahlreichen anderen antiken Inschriften Aufschluß darüber, welcher Code den gewählten Formulierungen und Abkürzungen zugrunde liegt. Denn natürlich muss man erst einmal wissen, das „MCAELIOTF“ soviel bedeutet wie: „M(arco)CEALIO T(iti) F(ilio)“ oder eben „Marcus Cealio Sohn des Titus“. Abkürzungen auf Grabsteinen und Inschriften waren zu Caelius Zeit so üblich wie heute unsere Abkürzungen für Grüße, Firmen, Gegenstände, nur verstehen kann man das alles nur, wenn man es kennt.
Interessant auch die sogenannte Rezeptionsgeschichte am Ende des Buches, eine Abhandlung über die Geschichte des Grabmals nach seinem Fund im Jahre 1620 und den Umgang mit dem Fund bis in unsere heutige Zeit. Ein Ausflug in das Thema „Grabinschriften gestern und heute“ eröffnet ebenfalls neue Perspektiven auch auf unsere heutige Grabkultur. Und ganz hervorragend auch der Anhang. Kapitel für Kapitel werden hier die Teile des Grabmals auf einem Foto hervorgehoben, die jeweils analysiert wurden. Und natürlich wird zu den behandelten Themen weiterführende Literatur angegeben. 27 Kapitel, verteilt auf die Themenschwerpunkte „Politik und Gesellschaft, Lebenswelten, Militär, Bilderwelten und Rezeption“ vermitteln ein Hintergrundwissen zur römischen Gesellschaft des Prinzipats, das man sich ansonsten sicherlich aus verschiedenen Quellen recht mühsam zusammensuchen müsste.
Rezension zu "Marcus Caelius" von Hans-Joachim Schalles