Lara Prescott ist mit "Alles, was wir sind" ein echtes Meisterwerk gelungen. Das Buch ist toll geschrieben; das Thema allein schon vollkommen fesselnd: inmitten des Kalten Krieges versucht die CIA, Widerstand in der Sowjetunion zu wecken, und das mit Hilfe eines simplen Buches über die Liebe - "Doktor Schiwago". Da ich die Hintergründe nicht kannte, war die Brisanz dieses Buches und der Rahmenhandlung völlig neu für mich, und die Autorin versteht sich darauf, sie den LeserInnen auf anschauliche, in eine spannende Geschichte eingebettet näher zu bringen.
Eigentlich sind es ja zwei Geschichten. In der einen schreibt Boris Pasternak an "Doktor Schiwago" und kann nicht verhindern, dass seine Geliebte Olga, selbst in Literaturzirkeln aktiv, in ein Arbeitslager gesteckt wird. Olga soll den Mächtigen verraten, was sich genau hinter "Doktor Schiwago" verbirgt, doch sie nimmt alle Leiden auf sich und bleibt Boris treu, und das bis zu seinem Tode, obgleich er sich überwiegend weniger rücksichtsvoll ihr gegenüber verhält.
In der zweiten Geschichte geht es um Irina, eine junge Frau, die von der CIA wegen ihrer russischen Wurzeln angeworben und zur Agentin ausgebildet wird. Die Liebesgeschichte, in die sie verwickelt wird, ist eine echte Überraschung und bricht in einem für das breite Publikum gedachten Buch mit der Norm. Zu früh freuen darf man sich dann beinahe doch nicht: das Ende ihrer Liebesgeschichte ist relativ offen und kann natürlich positiv interpretiert werden, aber so wirklich klar ist es nicht. Das wäre wohl für die breite Leserschicht doch zu viel des Guten....
Zu den Charakteren: Boris Pasternak wurde oft als sehr narzisstisch und selbstgefällig dargestellt. Vermutlich war er einfach ein Mann seiner Zeit, der es zu Ruhm und Ehre gebracht hat, die Grenzen auslotete und überschritt und dabei auch (gern) persönliche Opfer brachte. Er blieb bis zuletzt verheiratet und hielt sich Olga, die alles für ihn tat, als Geliebte. Olga dagegen war schon eine starke Frau, aber sie war absolut auf Pasternak interessiert und opferte wiederum ihre Kinder. Ihre Tochter kam später wegen und mit ihr ins Arbeitslager. Der Sohn wird zum Alkoholiker; sie hat kein Naheverhältnis zu ihm. Pasternak und Doktor Schiwago sind die Dinge, die für sie zählen.
Irina ist lieb und anfangs etwas naiv. Sie wird im Roman erwachsen. Trotz aller gesellschaftlichen Rahmenumstände fand ich ihre Verlobung mit Teddy feige und unangebracht. Sie geht anfangs den Weg des geringsten Widerstands, emanzipiert sich erst gegen Ende des Buches hin und flüchtet lieber ins Ausland, als sich ihren wahren Gefühlen zu stellen.
Sally tut mir leid. Zur falschen Zeit geboren, erlebt sie das, was wohl vielen Lesben zu ihrer Zeit passiert ist: berufliches Mobbing, Verunglimpfung, Rausschmiss, und privat ein stetes, einsames Leiden. Es bleibt zu hoffen, dass sie doch noch ihr Glück fand.....
Insgesamt eine überraschende Zufallsentdeckung, die ich nur empfehlen kann; auch als Hörbuch sehr spannend und gut gelesen!