Cover des Buches Der Büro-Ninja (ISBN: 9783570585498)
Rezension zu Der Büro-Ninja von Lars Berge

Der Mythos vom "Arbeits"platz

von Ein LovelyBooks-Nutzer vor 8 Jahren

Rezension

Ein LovelyBooks-Nutzervor 8 Jahren

Was tun die meisten Menschen in einem Büro? Sie dümpeln vor sich hin. Der Mythos vom "Arbeits"platz wurde sicher woanders erfunden. Bei Helm Tech jedenfalls nicht. Die Firma läuft - irgendwie - und beherbergt Mitarbeiter, die so oder ähnlich in vielen Büros sitzen könnten. Jens Jansen lässt Anrufe vom Anrufbeantworter erledigen, Mails mit einem Autoreply, jeweils versehen mit einem Hinweise auf andere Kontakte, an die sich der Kunde wenden solle. Er hat es perfektioniert, seine Leistung so zu dosieren, dass sie nie alarmierend schlecht, aber auch nie beeindruckend gut wird. Jansen ist unauffällig und bemüht, möglichst wenig zu tun. Dasselbe Ziel hat Stefan York, der damit aber Karriere machen möchte. Er stolziert gewichtig mit dem Headset durch die Gänge, damit ihn jeder bei nervenaufreibenden Verhandlungen beobachten kann, die in Wirklichkeit natürlich Privattelefonate sind. Hauptsache, es sieht gut aus. Regelmäßig wird ein Motivationstrainer mit sinnfreien Sprüchen auf das Team losgelassen, der mit speziellen Fragetechniken die Leute mürbe und anfällig für noch mehr Antriebslosigkeit macht. Einzig Elisabeth Pukka arbeitet wirklich. Sie erledigt all das, was Jansen und York liegen lassen, noch dazu viel besser, muss sich aber regelmäßig von York die Anerkennung stehlen lassen.

Jansen hat genug, als ein Meeting einberufen wird, das ziemlich offenkundig mit Firmenproblemen verbunden sein wird. Er erscheint einfach nicht und bleibt ab dann verschwunden. Wie sich zeigt, ziemlich gut vorbereitet. Da er die Büros nicht mehr verlassen kann, ohne einen Alarm auszulösen oder entdeckt zu werden, richtet er sich bei Helm Tech in einer vergessenen Abstellkammer häuslich ein. Die ausrangierte Technik aus der Abstellkammer wird zum Zeitvertreib. Mit Hilfe der alten Telefonanlage nimmt Jansen Kontakt zur Außenwelt auf und einer der Anschlüsse, die die Kollegen während der Dienstzeit privat nutzen, wird zum Rettungsanker, wenn ihm in der selbstgewählten Isolation die Decke auf den Kopf fällt. Über "Nina" bekommt er einen wichtigen Kontakt vermittelt. Ganz in der Nähe "wohnt" ein weiterer Angestellter, der keine Lust mehr auf eintönige Büroarbeit hatte und Jansen freundet sich mit ihm an.

Jansen, York und Pukka sind drei wunderbar überspitzte Archetypen des modernen Büros. In seiner überzeichneten Form kann einer wie Jansen nur das Verschwinden als ultimatives Mittel wählen, um noch weniger tun zu können als es ohnehin schon der Fall ist. Aber auch das Nichtstun ist schwierig, wie Jansen feststellen muss, alleine und - ohne etwas zu tun. Echtes "Nichts"tun geht nämlich auch nicht. Ein wichtiger Kontakt wird Yussuf Said, der Putzmann. Said ist illegal in Schweden, geflohen aus dem Irak und in beständiger Sorge um seine Familie. Said und Jansen schweißt die Heimlichkeit für eine gewisse Zeit zusammen und Said hilft Jansen, seine Legende zu verfeinern. Für Said wird die Hilfsaktion zu einem Neuanfang, während Jansens alte Kollegen weiter in Stumpfsinn schwelgen und die Nachforschungen der Polizei ebenso wenig unterstützen wie ihren Arbeitsplatz.

Jansens Kollegen sind so darauf trainiert, Anrufer unmotiviert abzuwimmeln, dass sie nicht nur Jansens Freundin und seinen Vater mit lustlosen Sprüchen abwimmeln, sondern automatisch auch auf die Polizei so reagieren. Der Panzer aus Gleichgültigkeit ist so dick geworden, dass sich mit Ausnahme von Elisabeth Pukka niemand mehr an solche Details wie den Zeitpunkt des Verschwindens, persönliche Gespräche oder Pläne des Kollegen erinnern kann. Für Jansen ein Segen, für den Job ein Trauerspiel.

Lars Berge entwirft ein ziemlich unheimliches Büroszenario. Er erzählt in kurzen Kapiteln, die allesamt mit markigen Werbesprüchen überschrieben sind, von "Let's do it" bis "Melts in your mouth, not in your hands". Man erkennt die meisten davon ziemlich schnell und stellt erstaunt fest, wie gut sie auf die jeweiligen Kapitel zugeschnitten sind. Es ist unterhaltsam, schrullig und schräg, keine Frage, und geht inhaltlich doch weiter. Seine Büromenschen sind so vom Produkt entkoppelt, dass sie so ziemlich alles verkaufen würden, solange es eben als Firmenname über der Eingangstüre steht. Weit weg im Industriegebiet, in unpersönlichen Bürokomplexen fehlt jegliches Engagement für eine Sache, Kreativität und das Gepür für die Kundschaft. Das eine oder andere kennt man vielleicht oder ahnt, dass es vielleicht irgendwo so zugehen könnte. So kumuliert scheint das Bürograuen weit weg zu sein. Helm Tech stellt alle Mitarbeiter über eine Zeitarbeitsfirma an, also etwas, was inzwischen öfter mal in der Zeitung steht. Die Produktion ist sonstwo und den Mitarbeitern fehlt der Bezug zum eigentlichen Triebmittel der Firma - ebenfalls nicht unbekannt. Berge wird zusätzlich die schwedischen Helme nach China verlegen lassen und gibt bei der Gelegenheit preis, dass man unter Sicherheit für den Bürger noch etwas ganz anderes verstehen kann.

Bei Lars Berge fällt die Antwort auf Systemprobleme radikal aus und der Kopf der Gegenbewegung erklärt Jansen: "Wachstum erfüllt keine Funktion ... Wir glauben an das Gegenteil des Wachstums. Das, was in unserer Zeit so undenkbar geworden ist, dass es nicht einmal einen Namen hat." Berge lässt ein Gespenst des 19. Jahrhunderts auferstehen, die Ludditen. Protestierende Weber, die so weit gingen, Maschinen zu zerstören, um die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen zu erreichen. Berges Geheimorganisation wählt andere Mittel, nichtsdestotrotz übt sie sich in Sabotage. Das führt unweigerlich zu der Frage, wohin Berges Buch führen soll. Komische Unterhaltung? Ja. Ein Aufruf auch, ja. Zur Sabotage? Eher weniger. Aber vielleicht zum Hinterfragen der Strukturen? Bevor es so weit kommt, dass Leute komplett abdriften? Bevor Leute Webstühle zerschlagen, sozusagen? Je nach Arbeitsplatz muss die Antwort wohl jeder selber finden, aber es hilft, sich zusammen mit Lars Berge auf unterhaltsame Art über seinen Arbeitsplatz auszutauschen. Denn ein bisschen Freude am Job will eigentlich jeder von uns haben.

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