"Der Scheiterhaufen" von György Dragoman überwältigt den Leser, lässt ihn erschöpft, aber begeistert zurück. Man klappt den Roman zu und weiß, dass man etwas gelernt hat. Das ist, besonders in diesen Tagen, sehr wertvoll. Dragomans Roman erzählt uns etwas über Europa, über die Welt, über uns. Was ist gut, was ist böse? Was ist richtig, was ist falsch? Die Heldin dieses komplexen Werks ist die 13 jährige Emma, ein Waisenkind, welches eines Tages von seiner Großmutter aus dem Heim geholt wird, in dem es seit dem Unfalltod der Eltern lebt. Die Großmutter nimmt Emma mit in ihre Stadt und ganz langsam beginnt das Mädchen die Geheimnisse der Vergangenheit zu enträtseln. Mystisch geht es zu in Dragomans Geschichte, märchenhaft und grausam. Alte Rechnungen eines untergegangenen Regimes müssen bezahlt werden und wer damals auf der richtigen Seite war, ist heute auf der falschen. Politisch ist dieses Buch aktueller denn je. Muss man für seine politischen Überzeugungen bezahlen? Und kann Schuld jemals getilgt werden? Emma wird mit der Vergangenheit ihrer Eltern und Großeltern konfrontiert, ja, muss dafür büßen. Befreien kann sie sich nur selbst. "Der Scheiterhaufen" steht symbolisch für die Dinge, die man hinter sich lassen muss, um gestärkt aus der Asche aufzusteigen. So gesehen ist Dragomans großer Roman ein Monolith der europäischen Literatur!
Laszlo Kornitzer
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Rezension zu "Der Scheiterhaufen" von György Dragomán
Die junge Ich-Erzählerin bleibt lange namenlos getreu eines Satzes im Buch, dass man die schmerzvollsten Geschichten nur so erzählen könne, dass der, der zuhört, das Gefühl hat, dass sie ihm selbst widerfahren. Das junge Mädchen muss mehrfach mit einer völlig veränderten Situation umgehen, erst sind die Eltern bei einem Autounfall gestorben, dann lebt sie im Internat, währenddessen endet das Ceaușescu-Regime, dann erhält sie Besuch von ihrer Großmutter, von deren Existenz sie bislang nichts wusste und die sie mitnehmen will. Doch ihre Großmutter bringt auch etwas anderes mit in ihr Leben, sie erzählt von der Vergangenheit, gibt Mut für Gegenwart und Zukunft – und bei allem schleicht sich durch sie, mit ihr eine zweite Ebene ein, eine magische, phantasievolle, und die gesamte Familiengeschichte spannt sich auf.
In anderen Rezensionen wird Dragomán daher verglichen mit Isabel Allende und „Das Geisterhaus“, die Richtung ist sicherlich nicht falsch, jedoch trifft sie nach meiner Meinung nur zum Teil: Beim Geisterhaus ist das Auftauchen der Verstorbenen für die handelnden Personen die Realität ebenso wie die durch Gedankenkraft verschobenen Gegenstände, bei „Der Scheiterhaufen“ erscheint der verstorbene Großvater nur beim Blinzeln, im dahingestreuten Mehl, oder etwas war vielleicht auch nur ein Traum – der Autor spielt geschickt mit der Grenzlinie zwischen Phantasie, bloßem Hoffen nach großen Verlusten und der Magie der Situation. Ebenso virtuos steigert er seine Beschreibung dabei, überfordert den Leser nicht – der Einstieg in den magischen Bereich beim Kaffeesatzlesen mag natürlich auch einfacher Aberglaube sein oder ein alter dörflicher Brauch. Er lässt seine Geschichte mal zügig, mal gemächlich voranschreiten und schafft es, Rückblenden vorzunehmen, ohne dass man den Zeitbezug verliert. Die jüngere Geschichte Rumäniens wird in einen noch viel weiteren Bezug gestellt, gut herausgearbeitet sind die Brüche in der Gesellschaft durch ein Nebeneinander von neuen Möglichkeiten und althergebrachten Vorstellungen, von Schuld und Schuldgefühl, von Rache und Gerechtigkeit.
Der Roman ist dabei „Coming-of-age“ sowohl der jungen Protagonistin als auch der jungen rumänischen Demokratie, wobei beiden die wohl dafür unvermeidlichen harten Landungen auf dem Boden der Realität widerfahren. Dragomán schafft es, mit dem Ende seiner Geschichte vieles dabei in der Schwebe zu halten, viele offene Fragen aufzuwerfen, ohne dadurch unversöhnlich zu werden.
Weiterführend:
Ich hatte nach der Lektüre von Andrei Mihailescus „Guter Mann im Mittelfeld“ nach einem weiteren Roman gesucht, der mir das bis dahin unbekannte Rumänien näherbringen würde, mein Bild erweitern sollte – und habe mit diesem Buch für mich einen Glücksgriff getan, den ich fast in einem Zug gelesen habe.
Dragomán verläßt sich hauptsächlich auf die Geschichte und die Kraft der Bilder, dabei mag dem Leser einiges an Hintergrundwissen zum Verständnis fehlen; so erinnern das Moralverständnis oder die schulischen Erziehungsmethoden einen deutschen Leser eher an das Deutschland der fünfziger oder sechziger Jahre. Auch erklären sich manche Befindlichkeiten der Personen im Roman nur aus den Besonderheiten des rumänischen Systems inklusive Personenkult und sehr rigider gesellschaftlicher Kontrolle. Wer hier tiefer gehen möchte, dem sei das erwähnte Buch von Mihailescu ans Herz gelegt. Beide Autoren nähern sich der Thematik auf verschiedene Art - während man dem Scheiterhaufen vorwerfen mag, zu beschreiben, was nicht jeder Leser gleichermaßen zu deuten vermag, wurde Mihailescu vorgeworfen, die Anforderung an zu viel Sachbuch im Roman erfüllen zu wollen. In dieser Weise ergänzen beide einander: Wer nach aktueller Literatur aus Rumänien sucht, merkt, dass diese stark in der Auseinandersetzung mit besonders der jüngsten Geschichte fußt, stärker, als man sich dies als Deutscher mit der Erfahrung zur DDR vorstellt. Wer nach aktueller rumänischer Literatur sucht, wird merken, wie sehr diese um die jüngere Geschichte kreist und sich an ihr reibt. Zu einem Verständnis UND zu tieferen Leseerlebnissen sollten beide genannten Werke beitragen.
Rezension zu "Der Scheiterhaufen" von György Dragomán
Emma, eine dreizehnjährige Vollwaise, wächst im Internat auf. Sie wird von ihrer Großmuter abgeholt und in die Stadt ihrer Großeltern gebracht. Dort besucht sie die Schule, sie wird immer wieder "gemobbt". Sie erlebt zu dieser Zeit eine intensive Jugendliebe.
Ihre Gr0ßmutter soll eine "Hexe"und geisteskrank sein, ihr Großvater ein politischer Verbrecher. Für den Holzschuppen, der im Garten steht, gibt es ein strengstes "Betreten verboten". Doch eines Tages besiegt die Neugier das kleine Mädchen und sie entdeckt Schreckliches.
Durch diese Erfahrung wird für Emma die Familiengeschichte langsam aufgelöst.
Der Roman ist ein politisch-historisches Abenteuer in der Zeit nach dem Sturz Rumäniens, teils verstörend, aber magisch, aber auf jedenfall sehr spannend und großartig.
Der Autor György Dragomán war mir unbekannt, aber er hat mich durch dieses interessante Buch überzeugt.