Rezension zu Vorgefühl der nahen Nacht von Laurent Seksik
Rezension zu "Vorgefühl der nahen Nacht" von Laurent Seksik
von M.Lehmann-Pape
Rezension
M
M.Lehmann-Papevor 13 Jahren
Die letzten Tage Stefan Zweigs Wiederauferstehen lässt Laurent Seksik in seinem Roman sowohl im Stil als auch im Inhalt die vergessene Welt der „schöngeistigen Schriftsteller“, die zu ihrer Zeit der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts mit Fug und Recht lange der Überzeugung sein konnten, mit ihren sprachlich ausgereiften und inhaltliche tiefgehenden Romanen die Welt zu bewegen. Eine Welt der Ästhetik, in der Stefan Zweig einer der geachteten Schriftsteller war, eine Welt, die durch die Machübernahme Hitlers in eine lange, dunkle Nacht überführt wurde. Ganz ähnlich auch im Stil, wie er Zweig zu eigen war, nähert sich Seksik der letzten Monate im Leben des Autors und zeigt die dynamische Kurve des gesamten Romans bereits auf den ersten Seiten exemplarisch auf. Dort, wo Zweig aufatmend durch die Fenster seines neuen, vorläufigen Domizils, eines kleinen Hauses in Petropolis, Brasilien, schaut. Mut und Zuversicht machen sich auf den ersten Seiten zunächst breit. Endlich eine feste Adresse, „ein Ort des Neubeginns“. Aber umgehend holt ihn die innere Düsternis wieder ein. „Diese Zeit würde nie mehr wiederkommen....... Die Nacht hatte sich für immer abgesenkt“. Und wiederum schwingt die Stimmung um. Seine junge Frau, seine zweite Ehefrau, betritt den Raum. Er spürt die Verantwortung und was er ihr mit all dem Exil ebenso antut. Lotte, die schwer mit ihrem Asthma zu kämpfen hat. Fast zärtlich wird er, dann aber überkommt ihn die Begrenztheit auch dieses Hauses. Nur für 6 Monate gilt der Mietvertrag. Nur, um sich dann doch der neuen Vertrautheit dieses Ortes hinzugeben. Emotionale Schwankungen, denen Zweig fast wehrlos ausgesetzt ist, die sich seiner Kontrolle entziehen. Das ist der innere Leitfaden dieses ästhetischen und die Innenwelt des Schriftstellers in seinen letzten Tagen nachvollziehenden Romans. So viele seiner eng vertrauten Freunde sind verloren in der Zeit. Tot, verzweifelt, kontaktlos. So verloren ist die ganze Welt des Stefan Zweig, seit er sein geliebtes, kleines Schloss in Salzburg 1934 vorausschauend verlassen hat. Selbst der warme Empfang in Brasilien, das materiell relative Wohlergehen in dieser Zeit, die Kontakte, die er knüpft, seine fast 30 Jahre jüngere Frau, die ihm treu zur Seite steht, selbst all dies kann nicht verhindern, dass sich immer wieder die Nacht über ihn senkt. Nicht umsonst heißt sein letztes Buch, seiner Memoiren, welches im Roman fertig gestellt werden wird, „Die Welt von Gestern“. Ein Abgesang und eine Erinnerung an all das Verlorene, welches Zweigs Welt ausgemacht hat. Ein Prozess, den Seksik feinfühlig in Worte zu kleiden versteht und dem, allgemein bekannt, am Ende dieser letzten Etappe in Brasilien, der gemeinsame Freitod des Ehepaares am 22.2.1942 folgte. In diese Zeitspanne, von September 1941 bis Februar 1942 fasst Seksik konzentriert, neben der inneren Entfaltung der „Nacht“ in Zweig selbst, noch einmal diese goldene Ära künstlerischen Schaffens der 20er Jahre in Deutschland und Europa ein und versteht es so, neben dem detaillierten Psychogramm Zweigs, die Hintergründe offen zu legen, aus denen heraus Zweig für sich selbst keine andere Wahl mehr sah. Denn es ging nicht nur um den Verlust der äußeren Heimat, sondern letztlich um die Zerstörung seines inneren Heimatlandes, der Kunst im Rahmen der europäischen Verbundenheit und der Hoffnung, durch Freundschaften und Austausch ein friedliches Miteinander der Völker zu befördern. Sprachlich hervorragend geschrieben und die Atmosphäre jener Tage und der Innenwelt Stefan Zweigs treffgenau wiedergebend ist Seksik ein wunderbares Buch gelungen.