Cover des Buches Die Gehilfin des Bienenzüchters (ISBN: 9783499138850)
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Rezension zu Die Gehilfin des Bienenzüchters von Laurie R. King

Ein vernachlässigbares Pastiché

von Stefan83 vor 11 Jahren

Rezension

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Stefan83vor 11 Jahren
Laurie R. Kings Idee, sich des zweiten Lebensabschnitts von Sherlock Holmes anzunehmen, welcher sich nach Rückzug aus London im ländlichen Sussex der Bienenzucht widmet, ist an sich keine schlechte. Die Jahre nach 1914 sind, selbst was Pastichés angeht, noch relativ unbenutzt und bieten viel freie Leinwand für neue Abenteuer des Meisterdetektivs. Insofern klang bereits der Klappentext von „Die Gehilfin des Bienenzüchters“, im Verbund mit den positiven Bewertungen, mehr als vielversprechend und reizvoll. Genährt wurden diese großen Erwartungen dann sogar vom stimmungsvoll in Szene gesetzten Beginn des Romans, in dem Holmes und seine künftige Partnerin Mary Russell erstmals zusammen treffen. Was darauf aber folgt ist eine mehr als dürftige Geschichte, die über lange vierhundert Seiten träg und fad vor sich hinplätschert, und zudem am Ende die zweifelhafte Ehre in Anspruch nehmen darf, eine der interessantesten Figuren in der Geschichte der Kriminalliteratur nach allen Regeln der Kunst demontiert zu haben. Kurz zum Inhalt: Sussex, im April des Jahres 1915. Während auf der anderen Seite des Kanals ein erbarmungsloser Stellungskrieg tobt, widmet sich die fünfzehnjährige Mary Russell den Büchern, welche sie in langen Spaziergängen übers Land verschlingt, um möglichst fern von ihrer herrischen Tante zu sein. Eines Tages stolpert sie bei einem ihrer Ausflüge über einen abgerissenen Mann fortgeschrittenen Alters, der sich im weiteren Verlauf als der große Sherlock Holmes erweist. Bei einem knappen Gespräch über Bienenzucht beeindruckt die vorwitzige Teenagerin den Detektiv, der diese daraufhin mit zu sich nach Hause einlädt. Es ist der Beginn einer Freundschaft und der Lehrjahre Mary Russells, die in den nächsten drei Jahren, neben ihrem Studium in Oxford, von Holmes ausgebildet und trainiert wird. Gemeinsam lösen sie erste kleine Fälle, bis eines Tages Mary und ihr Mentor selbst ins Visier eines gerissenen Gegners geraten. Obwohl beide Hand in Hand arbeiten, ist ihnen der Unbekannte stets einen Schritt voraus. Und als die Lage schließlich zu gefährlich wird, müssen Holmes und Russell einen gewagten Plan in die Tat umsetzen … Auch wenn sich Laurie R. King bereits im Vorwort für die Andersartigkeit „ihres“ Sherlock Holmes entschuldigt und dies mit den gefundenen Notizen einer gewissen Mary Russell erklärt, bleibt eine Tatsache bestehen: Kings' Holmes hat mit der Figur von Sir Arthur Conan Doyle bis auf wenige gelungene Deduktionen nur noch den Namen gemein. Als Tribut an die wahrscheinlich vorwiegend weibliche Leserschaft (welche mir meine harsche Kritik im weiteren Verlauf bitte verzeihen möchte), hat die Autorin aus einem kühlen, rationalen Kopfmenschen und Egoisten einen zahmen, dauergrinsenden Haustiger gemacht, dem jeglicher Ehrgeiz komplett abhanden gekommen ist. Zwischen der Figur, welche Dr. Watson uns einst nahe brachte und dem jetzigen Meisterdetektiv im Ruhestand liegen Welten. Und selbst sein nie vorhandenes Interesse am weiblichen Geschlecht, das oft nah an der Grenze zur Frauenfeindlichkeit tänzelte, wurde hier den Zwängen des Plots geopfert, um seine brillante Schülerin in noch besserem Licht erscheinen zu lassen. Diese stellt Holmes bereits auf den ersten Seiten oft in den Schatten – wodurch das große Genie schon recht bald jegliche Faszination verliert. Man muss hier die Frage stellen, warum King überhaupt eine Person wie Sherlock Holmes gewählt hat, wenn sie letztlich keine der Eigenschaften, die diese Figur einzigartig gemacht haben, nutzt und ihn stattdessen abwesend, ja müde und lustlos, durch die Handlung schlawenzeln lässt. Oder um es krass zu sagen: Holmes wurde kurzerhand kastriert und ins zweite Glied versetzt. Darunter leidet dann auch die Geschichte, welche King zwar immer wieder mit Anekdoten aus den Doyle-Werken würzt, die allerdings trotzdem an mangelnder Spannung krankt. Während Doyle auf kleinsten Raum Atmosphäre erzeugen und den Leser mit gelungenen Twists ans Buch fesseln konnte, bleibt „Die Gehilfin des Bienenzüchters“ erschreckend ziellos. Über viele Seiten passiert kaum etwas, was für den roten Faden der Geschichte relevant ist. Das eigentliche Gefahrenmoment tritt sogar erst kurz vor Schluss in Erscheinung. Dazwischen: Viele kleinere Handlungsstränge, die ins Nichts führen und sich teilweise (wie die Reise nach Palästina) sogar vollkommen von der Grundthematik entfernen. Fast scheint es so, als hätte die gute Frau King einfach drauflos geschrieben, in der Hoffnung, dass sich irgendwann daraus mal ein stimmiges Ganzes ergibt. Diese gehegte Hoffnung muss der Leser am Ende begraben. Das Finale ist einfallslos und misslungen, das Experiment einer Partnerschaft zwischen Holmes und Powerfrau Russell äußerst offensichtlich gescheitert. Auch wenn King uns mit dauerhaften Wiederholungen und Schmähungen des „alten Trottels“ anderes weismachen will – Dr. Watson war, ist und wird immer der bessere Sidekick sein. Und eine Frau darf heutzutage zweifelsfrei jeden Platz einnehmen – aber bitte nicht den an der Seite von Sherlock Holmes. Insgesamt ist „Die Gehilfin des Bienenzüchters“ ein schwerfälliges, uninspiriertes Werk, das dem Holmes-Kanon einen Bärendienst erweist und Freunden (ob männlich oder weiblich) von Doyles ursprünglichen Geschichten bitter aufstoßen wird. Ob ich die bisher übersetzten weiteren drei Titel der Reihe je lesen werde, ist angesichts der großen Auswahl in meinen Regalen mehr als fraglich.
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