Manche Bücher klären auf. Andere lassen dich sprachlos da. Und dann gibt es solche, die beides gleichzeitig tun – so wie Racism Kills von Layal Liverpool.
Ich habe in den letzten Jahren viele Bücher über systemischen Rassismus im Gesundheitswesen gelesen, aber dieses hier hat mich auf eine ganz neue Weise erstaunt. Es beginnt mit etwas Alltäglichem: einer Hautkrankheit. Eczema. Doch für Layal Liverpool wurde daraus ein jahrzehntelanger Leidensweg, weil weiße Ärzt*innen in mehreren Ländern ihre Symptome auf schwarzer Haut nicht erkennen konnten. Erst eine schwarze Ärztin sah, was los war. Und das war der Anfang einer tiefgreifenden Recherche zu ihrem Buch "Racism Kills".
Was ich besonders stark finde: Liverpool dreht die Perspektive. Viele Werke zu medizinischer Voreingenommenheit starten mit dem weißen Standard und fügen dann die marginalisierten Gruppen als „Abweichung“ hinzu. Liverpool geht den umgekehrten Weg – schmerzhaft ehrlich und längst überfällig.
Ein Thema, das mir noch lange nachging, war das sogenannte Race-Normalizing – eine Praxis, bei der medizinische Daten für Schwarze Menschen systematisch „korrigiert“ werden, meist zum Nachteil der Patient*innen. Ein Beispiel: Die eGFR-Werte zur Einschätzung der Nierenfunktion. Über Jahrzehnte hinweg wurden diese bei Schwarzen Menschen künstlich hochgerechnet, was dazu führte, dass Nierenschäden oft zu spät erkannt oder behandelt wurden.
Und ich muss sagen: Vieles, was in dem Buch beschrieben wird, hat mich nicht überrascht – weil ich es selbst erlebt habe. Ich kann gar nicht zählen, wie oft ich Ärzt*innen gewechselt habe, weil ich mich nicht ernst genommen fühlte. Weil Diagnosen sich nicht richtig anfühlten. Weil ich durch Berichte und Erfahrungen anderer wusste, wie leicht es ist, übersehen, falsch eingeschätzt oder in stereotype Schubladen gesteckt zu werden
Und doch bleibt das Buch nicht bei der Analyse von Rassismus gegen Schwarze Menschen stehen. Liverpool nimmt die gesamte Komplexität von Diskriminierung in den Blick. Sie spricht über die Black Community, aber auch über asiatische Minderheiten, Maori-Frauen und indigene Völker. Es geht um Rassifizierung im medizinischen System – nicht auf eine Ethnie beschränkt, sondern breit und tief beleuchtet.
Was mich besonders begeistert hat, war die Art, wie komplexe medizinische und gesellschaftliche Zusammenhänge erklärt werden. Da ist zum Beispiel die Geschichte einer schwarzen Ärztin, die ihren eigenen Herzinfarkt diagnostizierte – und trotzdem von Notfallpersonal nicht ernst genommen wurde. Liverpool erklärt hier nicht nur den Vorfall, sondern liefert auch einen verständlichen Mini-Crashkurs: Was sind Symptome eines Herzinfarkts? Wie läuft eine Diagnose ab? Das ist keine trockene Theorie – das ist praktisches Wissen „to go“.
Ein weiteres starkes Kapitel behandelt Umweltrassismus. Hier zeigt Liverpool den Zusammenhang zwischen Umweltbelastung, ethnischer Herkunft und Klassenzugehörigkeit auf. Es sind nicht nur die Armen, die in belasteten Gegenden leben müssen – es sind gezielt marginalisierte Gruppen, die schlechtere Luft atmen, weniger sauberes Trinkwasser bekommen, und denen buchstäblich der Boden unter den Füßen vergiftet wird.
Und genau hier liegt die große Stärke dieses Buches: Es verbindet analytische Schärfe mit tiefem Mitgefühl. Es zeigt, dass Diskriminierung nicht eindimensional ist – sondern sich überlagert mit Klasse, Geschlecht, Behinderung und weiteren gesellschaftlichen Ungleichheiten. Und es macht dabei nie den Fehler, einen Faktor gegen den anderen auszuspielen.
Es ist kein Buch, das man einfach nach dem Lesen zur Seite legt. Es verändert die Art, wie man Gesundheitsversorgung betrachtet – und vielleicht auch, wie man selbst Arztbesuche erlebt. Ein zutiefst notwendiges, zutiefst menschliches Buch.