Lea Draeger

 3,6 Sterne bei 8 Bewertungen

Lebenslauf

Lea Draeger, geboren 1980 in Münster, studierte Schauspiel an der Hochschule für Musik und Theater Felix Mendelssohn Bartholdy in Leipzig. Seit 2015 spielt sie im Ensemble des Berliner Maxim Gorki Theaters, davor u. a. am Schauspielhaus Bochum und der Schaubühne Berlin. 2005 verkörperte sie die Figur der Lena in der Romanverfilmung von Siegfried Lenzʼ »Der Mann im Strom« unter der Regie von Niki Stein. Lea Draeger erhielt 2010 den Daphne-Preis der TheaterGemeinde Berlin als beste Nachwuchsschauspielerin. Sie ist auch als Autorin und bildende Künstlerin tätig.

Quelle: Verlag / vlb

Alle Bücher von Lea Draeger

Cover des Buches Wenn ich euch verraten könnte (ISBN: 9783446272866)

Wenn ich euch verraten könnte

(8)
Erschienen am 24.01.2022

Neue Rezensionen zu Lea Draeger

Cover des Buches Wenn ich euch verraten könnte (ISBN: 9783446272866)
jtk_0701s avatar

Rezension zu "Wenn ich euch verraten könnte" von Lea Draeger

jtk_0701
Sehr intensiv und heftig!

Dieses Buch tut weh! Es ist brutal, heftig, schmerzhaft, eindrücklich und absolut kein Wohlfühlbuch. Und trotzdem ein gutes und wichtiges Buch. Es geht um Essstörungen, Selbstverletzung, patriarchale Gewalt, und Katholizismus. Wahrlich keine schöne Familiengeschichte.

Ein 13-jähriges Mädchen hört irgendwann auf zu essen und zu sprechen. Sie kommt in der Psychiatrie und fängt an alles in ein Notizbuch zu schreiben, geht in der Familiengeschichte zurück bis zum Urgroßvater. Dieser erhängt sich gleich zu Anfang des Buches. Hier wird nichts beschönigt und manche Szenen sind wirklich kaum zu ertragen. Einmal wird der Alltag in der Klinik beschrieben und dann bruchstückhaft die Geschichte der Familie. Trauen kann ich der Protagonistin nicht immer, weiß nicht, ob sie was beschönigt oder sich etwas ausdenkt. Weiß nicht immer, was die Realität ist. Und doch folge ich ihr und glaube ihr, da sie mir auf Umwegen die Wahrheit erzählt. 

Ich konnte dieses Buch nicht am Stück lesen, obwohl es einen guten Schreibstil hat und ich neugierig war, wie es weiter geht. Aber die Härte war mir manchmal zu intensiv, zu nah. Dieses Buch wird mich so schnell nicht loslassen. Empfehlenswert für alle, die mit diesen schwierigen Themen umgehen können. 


S.25 „Die ursprüngliche Sprache meiner Mutter ist Tschechisch. Sie spricht selten in dieser Sprache, nur ab und zu mit ihrer Schwester und früher mit meinen Großeltern. Meiner Schwester und mir hat sie diese Sprache nicht beigebracht. Ich kann die Sprache meiner Familie nicht sprechen und nicht verstehen.“


S.26 „Sobald meine Schwester, mein Vater oder ich in der Nähe waren, sprach meine Mutter immer Deutsch. Nur wenn sie etwas traf oder angriff, wenn etwas wirklich wichtig für sie war, kippte sie zurück ins Tschechische. Daher klingt alles, was für meine Mutter wirklich wichtig ist, für mich fremd. Und alles, was ihr etwas bedeutet, verstehe ich nicht.“


S.201 „Ich esse langsam. Ich weiß nicht, wie lange ich in diesem Raum bin. Ich weiß nicht, ob es Tage, Wochen, Monate oder Jahre sind. Mein Körper bläht sich auf. Seine fade, labbrige Masse wächst aus dem Bett hinaus, fließt fettig über den Boden, die Wände hoch. Von der Decke platscht er hinunter, kracht in das Bett. Mein Körper wird mich erdrücken.“

Cover des Buches Wenn ich euch verraten könnte (ISBN: 9783446272866)
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Rezension zu "Wenn ich euch verraten könnte" von Lea Draeger

Gwhynwhyfar
Dies ist ein sehr düsterer Roman

Der Anfang: «Als mein Großvater zwölf Jahre alt war, erhängte sich mein Urgroßvater am Deckenbalken seiner Backstube mit einer Hundeleine. Die Füße schwebten über dem Arbeitstisch. Er schaute starr von oben hinunter auf sein Kind.»


Triggerwarnung: Dies ist ein sehr düsterer Roman, der die Essstörung einer 13-Jährigen beschreibt, die zunächst in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie künstlich ernährt wird, sich später stabilisiert. Sie weigert sich, zu essen, zu sprechen – in der Klinik Familienmitglieder zu empfangen. Der Großvater steht übermächtig über der Familie, auch die Großmutter und deren Vater. Die Urgroßväter, Despoten und üble Schläger – so wie sie die Großeltern schildern. Geschwister, die sich heute spinnefeind ist, eine Familie voller Brüche. Die Großeltern hatte mit ihren kleinen Töchtern Tschechien verlassen, waren nach Deutschland ausgewandert, wo sie von vorn anfangen mussten. Der Großvater, der Bücher schreibt, die niemand verlegen will, aus denen er ständig der Familie vorliest, auf die Kommunistenschweine schimpft. Überhaupt sitzen die Großeltern mit patriarchaler Härte wie ein großer Dämon über der Familie, die sich davon nicht befreien kann. Die Eltern und die Mutter sprechen viel Tschechisch miteinander – die Protagonistin spricht die Sprache nicht, denn man wollte sich eigentlich von allem Tschechischen befreien. Einerseits ja – andererseits nein, denn jeden Sonntag bereitet die Großmutter Gulasch mit Klößen zu, vorweg eine Suppe, ganz traditionell. Danach hat der Großvater (der übrigens von der Protagonistin der Vater genannt wird) seinen langen Auftritt mit Lesungen aus den Manuskripten. Die Sprache werden sie nicht los, wenn sie aus dem Herzen sprechen wollen. Der Vater der Protagonistin ist einfach abgehauen, hat diese Familie hinter sich gelassen. Die Mutter scheint ihre Eltern schlicht zu ignorieren – es ist so, wie es ist. Die Mädchen reagieren mit Essstörung: Die eine frisst Unmengen in sich hinein, die andere verweigert Nahrung und Sprache. 


«Ich sitze in seinem Zimmer. Nach wie vor komme ich zu ihm. Nach wie vor schlage ich meine nackten Beine übereinander und spiele mit den feinen Härchen auf meinen Schenkeln. Ich trage kurze enge Shorts. Meine Beine sehen mittlerweile wieder aus wie Beine und nicht wie mit Haut überzogene Knochen. Sie sind schlank und leicht gebräunt von der Sonne im Garten.»


Die Protagonistin wechselt zwischen Vergangenheit und Gegenwart, bringt uns die Familie näher. Sie beginnt in der Kinder- und Jugendpsychiatrie durch Einträge in ihr kariertes Buch sich mit sich selbst und ihrer Familie auseinanderzusetzen. Die Gegenwart ist im Präsens geschrieben – was mir wieder Zahnschmerzen verursachte. Solange ein Ich sich im Präsens mit seinem Inneren, seinen Gedanken befasst, kann ich folgen. Wenn das Ich aber dem Leser erklärt, wohin es geht, was es für Kleidung trägt, wie sie aussieht usw., dann komme ich nicht mehr mit. Ein Ich weiß das, macht sich darüber keine Gedanken und erzählt sich genau das nicht selbst. Das ist alles Geschmackssache – mir rollen sich beim Lesen einer solchen Perspektive die Fußnägel hoch. Diese Frauenfiguren haben Männer geheiratet, die sie zufällig gewählt haben, nicht aus Liebe. Und darum brauchen sie einen Fetisch. Bei der Großmutter ist es die Heilige Jungfrau Maria und bei der Mutter ist sie es selbst, die Pflege ihres Aussehens. Eine schöne Frau, die sich absichtlich Kleidung und Schminke aussucht, die aus dem Rahmen fällt: auffällig, altmodisch, im ausgeprägt östlichen Modestil, bis hin zum Pelzmantel mit halben Tieren am Kragen. Denn sie hängt an ihrer Herkunft, an der Sprache – an allem, was von den Eltern verboten ist. Die Protagonistin und ihre Schwester fühlen sich ausgeschlossen, wenn die anderen in der Sprache sprechen, die sie lieben und hassen – weil sie zum alten Leben dazugehörte, zur Identität. Und genau das wirft die Protagonistin ihnen vor, man habe: «mich nie in die die Seele meiner Familie hineingelassen». Horrorgeschichten aus alten Zeiten, über die grausamen Urgroßeltern, immer wieder und über das schlechte Land ihrer Herkunft. Verbitterte Großeltern, die nicht mit den Kindern zufrieden sind, weil sie den «falschen» beruflichen Weg gingen, nicht in die Erwartung passen, obendrauf die falschen Partner suchten. Die Schwester kommt komischerweise nicht vor, lediglich werden die Fressattacken beschrieben. Die Protagonistin beschreibt die Wut im Bauch der Frauen ihrer Familie, die sie nie herausgelassen haben – die Wut der Männer ertrugen. Auch sie hat Wut.


«Ehe ich aufhörte zu essen, habe ich aufgehört, mit meiner Mutter zu sprechen. Über ein Jahr habe ich nicht mit ihr gesprochen. Auch sonst spreche ich nicht gern.» Kinder, sie sich entfremden, die in einer grausamen Atmosphäre aufwachsen. Ein düsteres Buch durch und durch bis zur letzten Seite! Und ich hatte beim Lesen das innere Gefühl, es wird von Seite zu Seite schlimmer, denn die Reise geht bergab. Der klitzekleine Hoffnungsschimmer, dass dieses Mädchen einen Weg aus der Finsternis findet, hat mich persönlich nicht hoffen lassen. Praxiserfahren denke ich in diesem Fall: Die Hoffnung stirbt zuletzt; also wupp es! Wie gesagt, Präteritum und die Perspektive Ich hat für mich seine Grenzen, wie hier. 


Eine Coming-of-Age-Geschichte der brutalen Art und Weise. «Ich traue der Sprache nicht. Ich werde sie finden, meine Geschichte. Auch wenn ich uns verraten muss.», sagt die Protagonistin am Ende, die Hoffnung sich selbst zu finden und ihren Weg zu gehen. Ich konnte den Roman nicht am Stück lesen – zu schwer lag die Geschichte im Magen; dazu noch das Präsens: Hier spricht eine 13-Jährige mit der Stimme und Tonalität, den Gedanken einer reifen Frau, mit den Worten einer ausgereiften Autorin. Und genau das passt nicht! Insgesamt zieht mich dieses Buch extrem runter – einschließlich meines Daumens. Es ist garantiert kein Jugendroman, auch wenn die Geschichte von einer 13-Jährigen erzählt wird und er bei hansablau erschienen ist.


Lea Draeger studierte Schauspiel an der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ in Leipzig. Sie arbeitet als Schauspielerin, Autorin und bildende Künstlerin. Seit 2015 spielt sie im Ensemble des Berliner Maxim Gorki Theaters, davor unter anderem am Schauspielhaus Bochum und der Schaubühne Berlin. Ihre bildnerischen Arbeiten wurden im 4. Berliner Herbstsalon, der Sammlung Friedrichshof und im Van Abbemuseum Eindhoven ausgestellt.

https://literaturblog-sabine-ibing.blogspot.com/p/wenn-ich-euch-verraten-konnte-von-lea.html

Cover des Buches Wenn ich euch verraten könnte (ISBN: 9783446272866)
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Rezension zu "Wenn ich euch verraten könnte" von Lea Draeger

Lesegezwitscher
Wenn das Mädchen seine Sprache wieder findet

R E Z E N S I O N 



Heute erscheint "Wenn ich euch verraten könnte" von Lea Draeger bei Hanserblau. Vielen Dank an dieser Stelle für das Rezensionsexemplar ♥️. 


Ein Mädchen hört auf zu Essen und zu Sprechen und kommt in die Psychiatrie. 

Dort fängt sie an, über ihre Familie zu schreiben, die nach dem Ende des Prager Frühlings nach Deutschland gekommen ist. 


Die Generationen sind geprägt durch die Vaterfiguren, die den Frauen und Kinder überlegen sind und sie fremdbestimmen. Der Alltag ist dominiert von Gewalt und Machtmissbrauch zusammen mit einem stregend Katholizismus. 


Mit diesem Buch gibt das Mädchen all den Frauen in ihrer Familie eine Stimme, durchbricht dadurch das weitergetragene Trauma und löst sich von den Zwängen der vorherigen Generationen, indem sie nach und nach ihre Stimme wieder findet und sich selbst ermächtigt. 


Die Autorin lässt eine unzuverlässige Erzählerin in klarer und derber Sprache von dem Alltag in der Psychiatrie berichten. Zwischen Therapie und Essensraum entstehen zarte Verbindungen zu anderen Kindern.


Zwischendrin wird bruchstückhaft und nicht chronologisch die bewegende Geschichte von Großmutter, Mutter und Tochter erzählt.


Das Buch ist wahrhaftig kein Wohlfühlbuch, aber dennoch sehr eindrücklich.


❗Triggerwarnung steht vorne im Buch.❗


♥️ Eine ausdrückliche Empfehlung von mir und definitiv ein Jahreshighlight! ♥️



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