„Sie werden keine Kinder bekommen.“ Mit diesem furchtbaren Satz beginnt Lea Streisands Roman Hätt‘ ich ein Kind. Hören muss ihn Kathi, die Protagonistin der etwa 200 Seiten langen Geschichte. Ein Satz, der ein Ende bedeutet und doch einen Anfang markiert. Denn Kathi entscheidet sich gemeinsam mit ihrem Partner David dafür, den Weg der Adoption zu gehen, um sich den gemeinsamen Kinderwunsch zu erfüllen. Doch dies ist leichter gesagt als getan: Die bürokratischen Hürden sind hoch, die Wartezeiten unbestimmbar, der ganze Prozess zermürbend. Hinzu kommt, dass Kathis beste Freundin Effi kurz nach der Diagnose, schwanger wird. Ein Umstand, der die Beziehung der beiden auf den Prüfstand stellen könnte, sie jedoch noch näher zusammenrücken lässt. Gemeinsam begleiten sie einander auf den Weg zum Muttersein: Übelkeit, spezielle Ernährung und Gewichtszunahme bei der einen; Formulare, Hausbesuche und Aufgeregtheit bei jedem Telefonanruf bei der anderen. Am Ende – so viel kann verraten werden – werden beide Mütter, jede auf ihrem eigenen Weg.
Hätt‘ ich ein Kind ist ein wunderbar authentischer und lebensnaher Roman über (unerfüllten) Kinderwunsch, Adoption, Mutterschaft und Mütterbilder. Lea Streisand erschafft mit Kathi und Effi zwei starke Frauenfiguren mit Ecken und Kanten, die gerade deswegen einen hohen Grad an Identifikationspotential bieten. Absolut realistisch schildert sie, wie sich ein Kinderwunsch auf Frauen in den 30ern, bei denen die biologische Uhr schon zu ticken beginnt, auszuwirken beginnt und dabei ihren ganzen Alltag und alle zwischenmenschlichen Beziehungen dominiert. Dabei wird deutlich, dass die Wege zum Wunschkind zwar verschieden sein können, die Außenwelt sich aber zu werdenden Müttern immer gleich verhält: Gut gemeinte Übergriffigkeit; Ratschläge, nach denen nicht gefragt wurde; Reduktion auf die Mutterrolle bei absoluter Ausblendung weiterer Identitäten. Lea Streisand zeigt, welche Anforderungen die Gesellschaft noch immer an Mütter stellt – ganz egal, wie sie letztlich zum Kinde kommen.
Obwohl das Buch eher schmal ist, umfasst es Kathis komplette Geschichte – von der gescheiterten Behandlung in der Kinderwunschklinik bis zur geglückten Adoption und dem Einfinden in das Leben mit Kind. Lea Streisand schreibt unaufgeregt, modern, alltäglich und lässt die Leser:innen schnell zur dritten Verbündeten in der Freundschaft von Kathi und Effi werden. Ehe man sich versieht, ist der Roman zu Ende gelesen und es bleibt das gute Gefühl, hier eine schöne, stets ehrliche und nie übertrieben-kitschige Geschichte gelesen zu haben, die an die guten Wendungen im Leben glauben lässt.
Für Hätt‘ ich ein Kind spreche ich eine eindeutige Leseempfehlung aus, gerade für alle, die gerne Bücher zum Thema Mutterschaft und Mutterrolle lesen und es wertschätzen, wenn hier die Perspektive durch das Thema Adoption erweitert wird. Es sei nur zuletzt darauf hingewiesen, dass der Roman – so erklärt sich auch der Titel – aufgrund von Kathis Dissertationsthema starke Bezüge zu den Märchen der Brüder Grimm aufweist, die bisweilen doch etwas bemüht wirken und in kurze wissenschaftliche Exkurse ausarten können – sicherlich nicht für alle Leser:innen gemacht. Diese tun insgesamt dem Lektürevergnügen jedoch keinen Abbruch, sodass ich reinen Gewissens 5 Sterne vergebe!