"Gespenstergeschichten" lautet der Untertitel von Leanne Shaptons "Gästebuch", in dem die Künstlerin, Illustratorin und Autorin eine ungemein originelle Mischung aus Fotos, Aquarellen und Texten zu einem stimmigen Gesamtkunstwerk verarbeitet.
Wer sich allerdings auf typische Schauergeschichten einstellt, die durch ein paar Fotos untermalt werden, wird vom "Gästebuch" wahrscheinlich enttäuscht sein. Vielmehr ist es so, dass der Grusel im Kopf entsteht und man als LeserIn seiner Kreativität freien Lauf lassen kann, um die Bedeutung einer der "Geschichten" herauszubekommen.
Was hat der unsichtbare Freund Walter damit zu tun, dass Tennis-Ass Billy Byron nach seinen Matches immer kollabiert? Wie viele Veranstaltungen an nur einem Tag kann Edward Mintz in seinem blauen Anzug eigentlich besuchen? Und was steckt hinter dem Familiengeist der Percys im Georgehythe Place?
Man betrachtet die wirklich gelungenen Fotos und nach und nach entsteht im Kopf eine Geschichte. Wenn man sich darauf einlässt, bleibt aus jeder dieser Geschichten etwas hängen. Manchmal sah ich mich genötigt, bestimmte Personen (wie beispielsweise Edward Mintz) im Internet zu suchen, da es Leanne Shapton gelingt, eine ebenso unheimliche wie realistische Atmosphäre zu schaffen. Bei anderen Geschichten oder Bildern passierte bei mir jedoch nichts. Das könnte allerdings auch daran liegen, dass man das "Gästebuch" immer wieder zur Hand nehmen und neu betrachten kann. Vielleicht ensteht beim nächsten Mal eine andere Inspiration, ein unerklärlicher Schauder.
Unbestritten ist, dass Shapton mit diesem höchst kreativen, unkonventionellen und skurrilen Buch etwas wirklich Eigenes und Besonderes erschaffen hat. Und auch wenn in meinen Augen die Qualität der Texte manchmal hinter den überwiegend großartigen Bildern zurückbleibt, ist das "Gästebuch" ein mehr als lohnenswertes Experiment für LeserInnen ohne Scheuklappen, die sich gern gruseln möchten.