Rezension zu "Nichts als die ungeschminkte Wahrheit" von Lee Winter
Angestellte verliebt sich in Chefin - das ist ein Konzept, das in Büchern dieses Genres häufig vorkommt, und das mir zugegebenermaßen auch gefällt. Aus diesem Grund habe ich das Buch "Nichts als die ungeschminkte Wahrheit" auch gekauft.
Die Geschichte fängt mit einer theatralischen Szene an, die dort eigentlich keinen PLatz hat. Maddie Grey, die ihren freien Tag hat, bekommt eine SMS, dass sie zu einem Meeting kommen soll, in dem sich die neue Chefin der Zeitung, für die sie in der Nachtschicht arbeitet, der Belegschaft vorstellt. Und zwar sofort! WArum das alles soooo dramatisch und aufregend ist, dass ihr Mitbewohner Simon sigar zu ihr ins Zimmer stürzen muss, erschliesst sich mir beim besten Willen nicht.
Schon bald lernen wir Elena kennen,. Ihr Ruf eilt ihr voraus. Sie ist erfolgreich, mächtig und - wie ich zu sagen behaupte - absolut bösartig. Leute wegen Kleinigkeiten zu feuern schürt ihre Lebensfreude, zumindest, wenn man den anfänglichen Schilderungen der Autorin glauben darf. Auf den letzten Seiten relativiert sich das dann etwas. Vorher aber müssen wir einiges von dieser charakterlich so liebenswerten Person aushalten und mit erleben, wie sie ihr Umfeld schikaniert.
Das hält Maddie, die eigentlich Journalistin sein will, aber Elenas Meinung nach keine ist, aber nicht davon ab, sich in die unnahbare, schwerreiche und äußest attraktive Chefin zu verlieben. Dass Elena verheiratet ist stört dabei genauso wenig wie ihre Unberechenbarkeit und ihr krudes, auf extrem kapitalistischen Säulen basierendes Menschenbild. Sie outet dann noch Elenas Ehemann als sexuell übergriffig, schmeißt sich an die Tochter einer sozialgestörten Designerin heran - und schwupps, schon ist sie ihrem Ziel, Elena für sich zu gewinnen, entschieden näher gekommen!
Ja, ja. Es ist eine Geschichte. Und sie bedient die heimlichen TRäume vieler lesbischen Frauen (Sex mit der Chefin, Beziehung mit der Chefin, vom Aschenputtel zum Superstar usw.). Ich fand`s prinzipiell auch ganz süß, deshalb drei Sterne. Aber einiges war einfach sehr plump. Natalii mit zwei i als Tochter der Designerin - das war einer dieser Punkte. Die Art und Weise, wie sich Maddie an sie heran machte, ist im realen Leben wohl kaum die Basis einer Freundschaft und schon gar nicht das Trittbrett für eine Karriere. Die darauf basierenden Folgen (Interview mit deren Mutter usw.) waren schlichtweg unglaubwürdig und das ach-so-innige Verhältnis auch völlig übertrieben.
Am meisten gestört hat mich jedoch das Menschenbild, das in diesem Buch durch die Person der Elena vermittelt wurde. Ist eine Person, die andere für sich tanzen lässt, deren Abhängigkeitsverhältnis ausnutzt, die wegen nix Leute auf die Straße setzt, die in einem grauenvollen, respektlosen Ton mit ihren Angestellten spricht, die keine Fehler verzeiht, denn wirklich so toll und so anbetungswürdig, dass man sich in sie verlieben kann? Es ist ein sehr amerikanisches, kapitalistisches Weltbild, das sich in diesem Buch widerspiegelt. Ich habe vergleichsweise auch deutsche Lesbian-Fiction-Geschichten mit "Angestellte verliebt sich in Chefin" gelesen. Diese Chefinnen hatten zumindest ein Herz und Charisma und irgendwas Liebenswertes! Außerdem waren die Rahmenumstände überwiegend realistischer.
Kurzum: das Buch sollte man wohl nur lesen, wenn man nicht zu kritisch ist.