Cover des Buches Die Leibwächterin (ISBN: 9783499256042)
Rezension zu Die Leibwächterin von Leena Lehtolainen

Über Luchse reden, oder: Gut Ding braucht Weile.

von Ein LovelyBooks-Nutzer vor 9 Jahren

Kurzmeinung: Aus Freude am Leben und nicht aus Lust am Töten: starke Frauen in einem skandinavischen Krimi.

Rezension

Ein LovelyBooks-Nutzervor 9 Jahren
Die finnische Krimiautorin Leena Lehtolainen ist vor allem durch die Romane mit ihrer weiblichen Heldin, der Polizistin Maria Kallio, bekannt geworden. Von diesem Zyklus liegen derzeit schon mehr als ein Dutzend Bücher vor. Im Windschatten dieser sehr erfolgreichen Serie ist die Trilogie um die Leibwächterin Hilja Ilveskero erschienen, die es der Autorin ermöglicht hat, sich mit ihrer neuen Heldin ein wenig mehr ins Zwielichtige und Ambivalente vorzuwagen. Ich habe nun den ersten Band der Trilogie gelesen - mit steigendem Vergnügen, wenngleich auch ein wenig irritiert. Von beidem soll hier die Rede sein.

Hilja Ilveskero ist eine Leibwächterin, doch wer sich deshalb einen actiongeladenen Thriller erwartet hat, der wird enttäuscht sein. Leibwächterin kann man eben auch als einen Routineberuf betrachten, der eher festgeschriebenen Regeln und Routinen folgt, als von einer ständigen Aufeinanderfolge von Action. Es ist das Warten, was diesen Beruf ausmacht, die aufmerksame Bereitschaft für den Ernstfall, das doch recht enge Verhältnis zur Klientin. Im Leben Hiljas ist es auch denkbar, als Security am Sicherheitscheck eines Flughafens zu arbeiten oder gegebenenfalls arbeitslos zu sein. Auch dieser Beruf besteht nicht nur aus Spannung und Sensation, sondern vor allem aus Routine.

Doch Routine wird zum Ernstfall und Hilja hat eigentlich im entscheidenden Moment versagt. Der für einen Krimi notwendige Mord passiert bereits auf den ersten Seiten des Romans. Hilja ist fest entschlossen, den Mord an ihrer Klientin aufzuklären - auch deshalb, weil sie sich Vorwürfe macht, den Mord möglicherweise durch ihr impulsives Verhalten mitverschuldet zu haben. Doch dem Ausgangspunkt der Handlung folgen weder actiongeladene Episoden noch unmittelbar weitere Morde. Im Gegenteil: die Autorin widmet sich ausführlich der Entfaltung des Charakters ihrer Heldin. Ihr familiärer Hintergrund, ihre Ausbildung zur Personenschützerin, ihre Gewissensbisse und schließlich ihre Zweifel über eine sich entwickelnde Liebesbeziehung nehmen breiten Raum im Roman ein. Wir begreifen recht rasch: diese Person soll uns ans Herz wachsen, damit wir sie auch gut und gerne in den Folgebänden des Romans begleiten wollen. Plötzlich finden wir uns in einer recht ambivalenten Liebesgeschichte wieder, die uns den weiteren Verlauf des Romans begleiten wird. Und auch der Schilderung der urtümlichen Landschaft Finnlands wird breiter Raum gegeben. Ach ja, die vergifteten Pilze!

Die langsame Entfaltung des Charakters der Heldin hat manche RezensentInnen dazu bewogen, das Buch als ereignisarm und unspannend zu bezeichnen. Ich aber bin der Überzeugung, dass ein Krimi nicht die rasanten Schnittsequenzen eines Actionfilmes imitieren muss, um zu fesseln, sondern daß er sehr wohl auch von der Entfaltung seiner Charaktere leben kann. Im gegenständlichen Fall merkt man recht deutlich, daß die Autorin sich ausreichend Zeit nehmen will, um uns die Heldin ans Herz zu legen. Sie schreibt selbstbewußt vor dem Hintergrund ihres schriftstellerischen Könnens und bisherigen Erfolgs und nimmt sich die Freiheit, das Erzähltempo zu drosseln, um ihre Figuren gut zu entwickeln.

Man muss eben ein wenig Geduld haben, um sich in die Welt der Personenschützerin Hilja einführen zu lassen, um ihren Zweifel, ihre Wut, ihre sexuellen Bedürfnisse, ihren Mut und ihre Beharrlichkeit nachvollziehen zu können. Langsam und mit logischer Konsequenz bauen sich die einzelnen Handlungs-elemente auf, und ohne erzählerischen Kraftakt löst sich der Fall. Am Ende des Buches angekommen, werden wir zwar einen der obligaten jedoch unaufdringlichen platzierten Cliffhanger antreffen, der den Leser/die Leserin auf den Folgeband der Trilogie verweist. Dennoch: das Handlung ist abgeschlossen, rund und stimming. Wir finden uns wieder mit unserer Neugier auf die weiteren Erlebnisse der Romanfiguren. Menschen (und Kunstfiguren) wirklich kennenzulernen, das braucht eben seine Zeit. Das mag altmodisch und "uncool" klingen, aber Menschen funktionieren eben nicht anders. Wer nicht zur Geduld bereit oder fähig ist, der möge zu anderen, mehr spektakulären Geschichten greifen: die Buchhandlungen sind voll davon. Wer jedoch die eindringliche Gestaltung von Charakteren mag, wird dieses Buch mögen.

Mit dem eben Gesagten soll nicht der falsche Eindruck erweckt werden, das Buch sei allein auf das innere Erleben seiner Romanfiguren ausgerichtet. Wir lernen auch einen Ausschnitt aus den bilateralen Beziehungen zwischen Rußland und Finnland kennen, diesseits und jenseits der unklaren Grenze von Recht und Unrecht, von Geschäft und Korruption, Tourismus und Ausverkauf der Natur. Die Handlung des Buches fokussiert auf den geplanten Bau einer russischen Gas Pipeline durch Finnland, auf das Verhältnis zwischen Macht und Politik, Geschäft und Korruption. Es ist immer schwierig, hinter die Kulissen scheinbarer Realität zu blicken und zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden. Auch darüber lesen wir in diesem Buch.

Zwei Wermutstropfen mischen sich in mein behagliches Krimiabenteuer. Da ist einmal die Obsession der Autorin für Luchse. Leena Lehtolainen baut hier ein Motiv von großer Präsenz auf, indem sie ausführlich von den Kindheitserlebnissen der Heldin mit einem halb gezähmten Luchs namens Frida erzählt und dieses Motiv immer wieder ins Spiel bringt, wohl in der Absicht, das Wilde und Unberechenbare und Einsame der Heldin zu symbolisieren. Allein, das Motiv wird meiner Ansicht überstrapaziert, sodaß es langsam aber sicher zur Wortwiederholung zu degenerieren droht. Leider hat sich die Autorin allzu sehr von ihrer Faszination für diese Tiere hinreißen lassen. Das hat dem Erzählfluss an einigen Stellen nicht gut getan.

Zum Zweiten: die vom Finnischen ins Deutsche gebrachte Übersetzung von Gabriele Schrey-Vasara verwendet stellenweise und ohne ersichtlichen Grund statt standardsprachliche regionale Redewendungen und Begriffe, was dem Text nicht gut tut. Auch das Cover des Buches ist, sowohl was die bildliche Darstellung als auch die Genrebezeichnung "Thriller" betrifft, irreführend. Wie schon andernorts bemerkt wurde, ist das Buch kein typischer Thriller, der sich durch einen kontinuierlichen Spannungsbogen auszeichnet. Die Heldin steht auch nicht düster und geheimnisvoll im Halbschatten der Erzählung, wie dies die Fotomontage suggeriert. Die Cover der finnischen Originalausgabe und der englischen Übersetzung sind da andere Wege gegangen und haben statt der Dame im geheimnisvollen Halbschatten den Luchs aufs Cover gebracht, was mir angesichts des weiter oben Gesagten stimmiger erscheint.

Insgesamt fällt aber mein Leseeindruck sehr positiv aus: deshalb bin ich gerade beim Lesen des zweiten Bandes der Trilogie.

Offenlegung: Diese Rezension wurde weder von einer anderen Person in Auftrag gegeben, noch liegt ihr die Überlassung eines kostenfreien Lesexemplars zugrunde. Sie ist im besten Sinne freiwillig und allein vom Interesse am gegenständlichen Buch und von der Freude am Schreiben getragen.
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