Rezension zu "Die Jünger Jesu" von Leonhard Frank
Leonhard Frank, einer meiner allerliebsten Lieblingsschriftsteller, zählt zu den Autoren, deren Bücher von den Nazis verbrannt wurden. Wie alle Texte, die ich bisher von ihm gelesen habe (besonders empfehlenswert bzw. interessant finde ich "Der Mensch ist gut", "Bruder und Schwester", "Links, wo das Herz ist"), ist auch dieser von großer Menschenliebe geprägt und lässt durch seinen schlichten, aber oft künstlerisch-bildhaften Stil auch spüren, dass Frank nicht nur Schriftsteller, sondern vor allem auch ein leidenschaftlicher Maler war.
Geschrieben hat er diesen 1949 zuerst veröffentlichten Roman, ein Art Robin-Hood-Erzählung, die kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in Würzburg spielt, aus dem Exil heraus. Die Zustände in seiner zerbombten Heimatstadt zu dieser Zeit kannte er somit nur aus Berichten. Er hatte jedoch nie die Absicht, einen Tatsachenroman zu schreiben, sondern war wie so oft auf der Suche nach einer "inneren Wahrheit". Und dennoch ist die tiefe Verbundenheit des Exilanten zu seiner Heimatstadt spürbar und dennoch hat er mit diesem Roman damals viele Würzburger verärgert - und dennoch entstand zur Aktion "Würzburg liest ein Buch" (2014) diese schöne Sonderausgabe.
Ich habe diesen Roman regelrecht verschlungen und sehr geliebt, dabei empfinde ich ihn als etwas heikel und stoße mich an einigen Ecken und Kanten. Mit der Geschichte Ruths, die als Opfer verschiedener Naziverbrechen schwer traumatisiert ist, wirft er nämlich eine moralische/juristische Frage auf, auf die Frank meiner Ansicht nach in dieser Romanversion (in den Texten im Anhang wird erklärt, dass es mehrere Fassungen mit unterschiedlichen Ausgängen gab) eine verständliche, aber viel zu einfache Antwort gefunden hat (und das schreibe ich in dem Bewusstsein, wahrscheinlich genauso entschieden zu haben ...). Auch überzeugen mich die Weltsicht der kindlichen "Jünger Jesu" und ihr Handeln deutlich mehr als der zum Schluss hin dargestellte sozialistische Ansatz der Erwachsenen.
Franks uneingeschränkte Liebe zum Sozialismus (für einen Menschen, der das Grauen des Nazi-Regimes erlebt hat, nur allzu verständlich) machte diesen Roman leider auch zu einem Opfer des Kalten Krieges - im Westen verpönt, im Osten instrumentalisiert. Dabei steckt so viel mehr in ihm als Ideologie - er erzählt eine erhebende Geschichte von Zivilcourage und Zusammenhalt in der Not, Traumatisierung und Heilung, bietet spannende, unerwartete Wendungen und regt zum Nachdenken an.
Dabei ist es etwas unheimlich zu lesen, wie präsent das Naziregime nach Franks Darstellung auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs blieb, wie wenig diese angeblichen „Patrioten“ daran interessiert waren, in einer Notlage wie der nach dem Krieg etwas für ihr Land und seine Bewohner zu tun, wie sie stattdessen die Lage noch verschlimmerten, indem sie weiterhin Menschen bedrohten und ermordeten – und wie sehr diese Situation an das heutige Deutschland erinnert ...
Und trotz der leider sehr realistisch wirkenden Darstellung finsterster rechtsradikaler Umtriebe ist es Frank gelungen, einen positiven, hoffnungsvollen und trostreichen Roman zu verfassen, in dem Zivilcourage und Liebe so manchen Sieg erringen ...