Die in diesem Band versammelten Erzählungen stammen aus der späteren Schaffensperiode des Autors, die nach der russischen Revolution von 1905 beginnt und sich bis zum Tode
Andrejews erstreckt, der 1919 im Exil in Finnland in bitterer Armut starb. Im Vergleich zu den im Band Das rote Lachen enthaltenen Geschichten sind die zehn im vorliegenden Buch veröffentlichten Texte im Durchschnitt umfangreicher und inhaltlich vielschichtiger.
Noch stärker als in Das rote Lachen erscheinen die Geschichten hier aus einer tiefen pessimistischen und düsteren Grundstimmung heraus geschrieben, die die Grundlage der literarischen Betrachtung verschiedener Themen bildet. Die Beschäftigung des Autors mit der religiösen Überlieferung etwa findet sich am prominentesten in der dem Band seinen Titel gebenden Erzählung Judas Ischariot, die ein einerseits rätselhaftes, andererseits aber auch suggestives Psychogramm Judas' entwickelt. Desweiteren ist die Erzählung Die sieben Gehängten erwähnenswert, in der Andrejew das seelische Erleben ganz verschieden gearteter Personen während der letzten Tage vor ihrer Hinrichtung betrachtet. Und auch die letzte Erzählung des Bandes, Das Joch des Krieges, in der der Autor in Tagebuchform eine Vielzahl von subjektiven Betrachtungen und Beobachtungen des Protagonisten vor dem Hintergrund des ersten Weltkrieges zu einem stimmungsvollen Ganzen verwebt, verdient es, gesondert genannt zu werden.
Zusammenfassend kann über diesen Band im Wesentlichen das Gleiche gesagt werden, wie schon über Das rote Lachen: Eine schön aufbereitete Sammlung von lesenswerten Erzählungen eines großen russischen Autors, der zu Unrecht in Deutschland nur wenig Beachtung gefunden hat.
Leonid Andrejew
Lebenslauf
Quelle: Verlag / vlb
Alle Bücher von Leonid Andrejew
Leonid Andrejew: Das rote Lachen - Erzählungen 1898-1906
Der Gouverneur
Das rote Lachen
Die Mauer
Judas Ischariot. Erzählungen 1907-1916: Bd. 2
Neue Rezensionen zu Leonid Andrejew
Leonid Nikolajewitsch Andrejew ist ein in Deutschland verhältnismäßig unbekannter russischer Autor des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Der hier vorliegende Band versammelt eine Anzahl von Erzählungen, die die mangelnde Beachtung ungerechtfertigt erscheinen lassen.
Die insgesamt 22 Geschichten sind der ersten Schaffensperiode des Autors zuzurechnen und umfassen einen Zeitraum von 8 Jahren - beginnend mit der ersten Erzählung des Autors, "Bargamot und Garaska" und endend mit Erzählungen aus der Zeit kurz nach der russischen Revolution von 1905.
Es ist nicht überraschend, daß sich angesichts des Entstehungszeitraums auch politische Töne in einigen der Erzählungen ausmachen lassen. Dies erscheint insbesondere in Anbetracht der Tatsache nachvollziehbar, daß der Autor selbst mit den Idealen der Revolution von 1905 sympathisiert hatte. Vor allem in Geschichten wie "Die Marseillaise" und "Der Gouverneur" ist die politische Tendenz klar auszumachen.
Keinesfalls jedoch sollten die politischen Überzeugungen des Autors als zentraler Aspekt des vorliegenden Bandes interpretiert werden, denn die Bandbreite der behandelten Themen ist groß und die Darstellung des Autors meisterhaft. Besonders erwähnenswert sind die Erzählung "Das Leben des Popen Wassili", die in erschütternder Weise die Frage nach Glauben und Unglauben stellt, die Geschichte "Im Nebel", die die beklemmende Unruhe und Getriebenheit des Protagonisten eindrucksvoll vermittelt und die titelgebende Erzählung "Das rote Lachen", in der der Autor sich mit den Schrecken des Russisch-Japanischen Krieges auseinandersetzt.
Nicht nur für Freunde der russischen Literatur sondern für jeden, der sich von psychologisch dichten, wenngleich oftmals bedrückenden, Erzählungen angesprochen fühlt, ist der Band in jedem Fall empfehlenswert.
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