Rezension zu "Judas Ischariot. Erzählungen 1907-1916: Bd. 2" von Leonid Andrejew
Die in diesem Band versammelten Erzählungen stammen aus der späteren Schaffensperiode des Autors, die nach der russischen Revolution von 1905 beginnt und sich bis zum Tode
Andrejews erstreckt, der 1919 im Exil in Finnland in bitterer Armut starb. Im Vergleich zu den im Band Das rote Lachen enthaltenen Geschichten sind die zehn im vorliegenden Buch veröffentlichten Texte im Durchschnitt umfangreicher und inhaltlich vielschichtiger.
Noch stärker als in Das rote Lachen erscheinen die Geschichten hier aus einer tiefen pessimistischen und düsteren Grundstimmung heraus geschrieben, die die Grundlage der literarischen Betrachtung verschiedener Themen bildet. Die Beschäftigung des Autors mit der religiösen Überlieferung etwa findet sich am prominentesten in der dem Band seinen Titel gebenden Erzählung Judas Ischariot, die ein einerseits rätselhaftes, andererseits aber auch suggestives Psychogramm Judas' entwickelt. Desweiteren ist die Erzählung Die sieben Gehängten erwähnenswert, in der Andrejew das seelische Erleben ganz verschieden gearteter Personen während der letzten Tage vor ihrer Hinrichtung betrachtet. Und auch die letzte Erzählung des Bandes, Das Joch des Krieges, in der der Autor in Tagebuchform eine Vielzahl von subjektiven Betrachtungen und Beobachtungen des Protagonisten vor dem Hintergrund des ersten Weltkrieges zu einem stimmungsvollen Ganzen verwebt, verdient es, gesondert genannt zu werden.
Zusammenfassend kann über diesen Band im Wesentlichen das Gleiche gesagt werden, wie schon über Das rote Lachen: Eine schön aufbereitete Sammlung von lesenswerten Erzählungen eines großen russischen Autors, der zu Unrecht in Deutschland nur wenig Beachtung gefunden hat.