Rezension zu "DIE LÜGEN" von Lesley Kara
Lizzies beste Freundin Alice kam mit 13 Jahren bei einem schrecklichen Unfall ums Leben, sie wurde von einem Zug überrollt. Lizzie war dabei, als es geschah, hat aber an das Unglück selbst keine konkrete Erinnerung mehr, da sie in dem Moment, als es passierte, einen epileptischen Anfall erlitt. Jahre später ist Lizzie in einer glücklichen Beziehung, plant ein Studium und hofft, Alices immer noch nicht geklärten Tod endlich zu überwinden. Doch dann lernt sie Catherine, die neue Arbeitskollegin ihres Freundes Ross, kennen. Und die lässt in ihr die alten Erinnerungen wieder aufleben. Dabei erfährt Lizzie Dinge, die plötzlich alles in Frage stellen…
Lesley Kara schreibt gut verständlich, flüssig und klar aus Lizzies Sicht in Ich-Form. Sie erzählt, was 2007 zur Zeit des Unfalls passierte und was sich in der Gegenwart 2019 ereignet, als die erwachsene Lizzie von der Vergangenheit eingeholt wird. Es werden aber auch Passagen aus einer anderen Perspektive eingeschoben, die zunächst Rätsel aufgegeben, hinterher aber immer mehr Licht ins Dunkle bringen. Die verschiedenen Blickwinkel auf das Geschehen machen die Geschichte sehr spannend.
Protagonistin Lizzie leidet unter ihrer Epilepsie, in ihrer Jugend fühlt sie sich ihrer besten Freundin Alice oft unterlegen. Dass sie sich für unzulänglich hält und die Tatsache, dass sie selbst wegen ihrer Epilepsie ihrer eigenen Wahrnehmung nicht traut, machen sie zu einer ambivalenten Figur. Einerseits fühlt man mit ihr, bemitleidet sie, andererseits hat man ihr gegenüber auch Vorbehalte. Mitunter zeigt sich Lizzie etwas naiv und blauäugig, ändert ihre Meinung recht schnell, was an ihrer Unsicherheit liegen mag. Auch Ross vordergründig freundliche Kollegin Catherine wirkt unberechenbar und verdächtig, hat sie sich doch in der Vergangenheit Lizzie gegenüber unfair verhalten. Selbst Lizzies Eltern scheinen nicht immer aufrichtig zu sein. Die vielen Lügen machen die Figurenkonstellation sehr interessant: Wem ist hier wirklich zu trauen?
Wird Lizzie herausfinden, was wirklich mit Alice geschah? Und ist Lizzie tatsächlich so unschuldig, wie sie selbst glaubt? Leslie Kara hat mit „Die Lügen“ einen unblutigen, aber psychologisch spannenden und packenden Roman über Erinnerungen, Traumata, Familiengeheimnisse und folgenschwere Lügen geschrieben. Bis zum Schluss rätselte ich, was es mit Lizzies Erinnerungslücken auf sich hat. Das Ende ist durchaus überraschend, aber stimmig. Meiner Meinung nach ein raffinierter, logisch nachvollziehbarer und gut konstruierter Psychothriller.