Leta Semadeni

 4,5 Sterne bei 11 Bewertungen
Autor*in von Tamangur, Tamangur und weiteren Büchern.

Lebenslauf

Leta Semadeni, geboren 1944 im Engadin, studierte Sprachen an der Universität Zürich. Lehrtätigkeit an verschiedenen Schulen in Zürich und im Engadin. Arbeitsaufenthalte in Lateinamerika, in Paris, Zug, Berlin und New York. Seit 2005 lebt und arbeitet sie freischaffend in Lavin. Fünf Gedichtbände. Auszeichnungen: Literaturpreis des Kantons Graubünden und Preis der Schweizerischen Schillerstiftung (2011). Für Tamangur, ihren ersten Roman, Schweizer Literaturpreis 2016; 2017 Bündner Kulturpreis für ihr Gesamtwerk.

Quelle: Verlag / vlb

Alle Bücher von Leta Semadeni

Cover des Buches Tamangur (ISBN: 9783858696410)

Tamangur

 (8)
Erschienen am 04.09.2018
Cover des Buches Tamangur (ISBN: 9783858699565)

Tamangur

 (1)
Erschienen am 01.03.2022
Cover des Buches Amur, großer Fluss (ISBN: 9783715250021)

Amur, großer Fluss

 (1)
Erschienen am 22.02.2022

Neue Rezensionen zu Leta Semadeni

Cover des Buches Tamangur (ISBN: 9783858698421)
Susanne_Probsts avatar

Rezension zu "Tamangur" von Leta Semadeni

Eine inhaltliche und sprachliche Perle!
Susanne_Probstvor 4 Jahren

Das dünne kartonierte Buch mit dem schlichten, in beige und oliv gehaltenen Cover, auf dem ein Ziegenbock abgebildet ist, ist eine Augenweide. 

Vorsatzpapier und Lesebändchen in  grün vervollständigen den hochwertigen äußeren Eindruck. 


Das Kind, ein kleines Mädchen im Grundschulalter, lebt bei seiner Großmutter, die einst viel gereist ist und gern Klavier gespielt hat. 

Die beiden wohnen in einem Dorf, das sich in einem von Bergen umgebenen Tal in der Schweiz befindet. 

Der Ort „ist nicht mehr als ein Fliegendreck auf der Karte.“ (S. 8)


Der Großvater, ein Jägersmann mit Güte und Humor, ist seit einem Jahr in Tamangur, dem Paradies für Jäger. 

Er „hat es wahrlich verdient, in dieses Paradies eingelassen worden zu sein.“ (S. 22) ...und das, obwohl „er sich ganz plötzlich aus dem Staub gemacht hat, dieser Feigling“. (S. 37)

Auch der kleine Bruder des Mädchens und seine Eltern glänzen durch Abwesenheit und sind wie der Großvater trotzdem und gleichzeitig ständig präsent. 


Der Ort, das Kind und die Großmutter sind namenlos.

Namen hat nur das Umfeld.


Beispielsweise Carlotta, die leicht schielende Strohpuppe mit Märzendreck auf der Nase, die eines Tages einer Erkundungs-Operation zum Opfer fiel.


Oder Elsa, eine der Seltsamen, die ein bisschen neben den Schuhen stehen, eine schöne Sprache und einen frischen Blick auf die Welt haben. 

Elsa besucht die beiden oft und hilft der Großmutter manchmal bei der Hausarbeit.


Oder Chan, der Hund der Großeltern, dessen Schnaufen das Kind beruhigt und der laut Großmutter der Vater sämtlicher Welpen im Dorf ist, obwohl er nur noch einen Hoden hat.


Oder der kleine drahtige Kasimir, für den Alkohol die Kaminfegerbürste für die Seele ist.


Oder die kleine pfiffige Luzia aus der Alpenrose, mit der es dem Kind nie langweilig wird.


Wir erfahren, warum es von Vorteil ist, katholisch zu sein, lesen von Käse im gezuckerten Kaffee, von wunderbaren Geschichten, die der Opa für sein Enkelkind erfindet und von den fünf langen, gelben Hirschzähnen des Großvaters, die beim Kind eine Hühnerhaut hervorrufen.


Bald schon ahnen wir, dass es vor nicht allzu langer Zeit eine Katastrophe gegeben haben muss, die zum Verschwinden des kleinen Bruders und der Eltern des Mädchens geführt hat.

An dem Unglück scheint das kleine Mädchen seinen Anteil gehabt zu haben. Vielleicht war es sogar dafür verantwortlich?

Manchmal wird das Kind von Schmerz, Sehnsucht, Albträumen und Schuldgefühlen heimgesucht.


Ich stieß immer wieder auf wunderschöne Formulierungen, die mich innehalten ließen:

„Die Erinnerung liegt dann überall herum wie ein schlafendes Tier und versperrt einem den Weg. Ständig muss man darüber stolpern, ihm ausweichen und wehe, man erwischt es mit der Fußspitze oder tritt gar aus Versehen drauf und es erwacht und trottet hinter einem her...“ (S. 20)


„Die Angst ist wie ein Jagdhund. Man muss ihn gut behandeln, aber man darf sich niemals von ihm beherrschen lassen.“ (S. 26)


„An gewisse Regeln muss man sich halten, sonst wird man haltlos, und die Großmutter hat etwas gegen Haltlosigkeit. Haltlosigkeit kommt kurz vor dem Absturz.“ (S. 43)


„Ich habe nicht verstanden, sagt Elsa, wie das ist mit der Angst. Kommt sie von außen und überfällt einen hinterrücks? Oder hockt sie in einem drin, igelt sich ein irgendwo in einem verborgenen Winkel… Und wenn man es am wenigsten erwartet, schlägt sie erbarmungslos zu?“ (S. 47)


„Oft ist das, was ein anderer oder eine andere sagt, nur halb so interessant wie das, was ich während eines inneren Spaziergangs mit mir selbst erlebe.“ (S. 117)


Man stolpert auch immer wieder über amüsante Stellen, die ein Schmunzeln hervorrufen: 

„Warum sind deine Hände so groß?, fragt das Kind. 

Weil die Großmutter so große Brüste hat. Die müssen Platz haben, eine in jeder Hand.“ (S. 24)


„Tamangur“ ist ein stiller, warmer, sehnsüchtiger und poetischer Roman, der etwas Märchenhaftes und Zartes hat und bei aller darunter liegenden Dramatik mit Humor nicht geizt.

Obwohl über der Geschichte ein Wölkchen von Melancholie hängt, bekommt sie durch die teilweise heitere und aufrichtige Sprache, den liebevollen Ton und die ruhige Erzählweise eine Leichtigkeit. 


Dieses außergewöhnliche Schmuckstück ist eine inhaltliche und sprachliche Wucht und wird einen bleibenden und besonderen Platz in meinem Bücherregal bekommen.


Das Prosawerk „Tamangur“ der 1944 geborenen Schweizer Poetin und Erzählerin Leta Semadeni hat 2016 den Schweizer Literaturpreis erhalten. 




Cover des Buches Tamangur (ISBN: 9783858696410)
Barbara62s avatar

Rezension zu "Tamangur" von Leta Semadeni

73 Schlaglichter auf das Leben und den Tod
Barbara62vor 9 Jahren

Die 70-jährige Unterengadiner Lyrikerin Leta Semadeni, deren Name selbst wie Lyrik klingt, hat mit Tamangur ihren ersten Roman geschrieben. Aber keinen im herkömmlichen Sinn, nein, vielmehr sind es 73 Schlaglichter in kurzen bis sehr kurzen Sequenzen über Großmutter und Enkelin, „das Kind“, das genauso namenlos bleibt wie das Unterengadiner Dorf, über skurrile Dorfbewohner und vor allem über Abwesende. Der dritte Stuhl im Haus bleibt leer, denn der Großvater, geliebt und schmerzlich vermisst von Großmutter und Kind, ist in Tamangur, jenem Ort, bei dessen Erwähnung die Großmutter jedes Mal gen Himmel schaut. Auch die Eltern sind fort. Vor den Augen des Kindes ist der kleine Bruder, der Augenstern der Mutter, im Fluss ertrunken, die Familie auseinandergebrochen. Hatte das Kind Schuld? Es hat die Hand des kleinen Bruders doch nur kurz losgelassen.

So geben die Großmutter, die als junge Frau die Welt bereist hat, und das Kind, das kaum mehr kennt als das Dorf, sich gegenseitig Halt, schlafen im selben Bett. Manchmal bekommen sie Besuch, vor allem von Elsa, die im gelben Haus bei den Seltsamen wohnt und ihren stillen Freund Elvis Presley im Tarnanzug mitbringt. Und dann ist da noch die Schneiderin, die anderen ihre Geschichten stiehlt, und die Frau Doktor, die seit dem Tod ihres Kindes nicht mehr auf den Friedhof geht. Oder Kasimir, der homosexuelle Kaminkehrer, bester Freund des Großvater und dem Alkohol nicht abgeneigt.

Eine sehr karge und zugleich bildgewaltige Erzählung. Obwohl ich sicher nicht jedes der Bilder verstanden habe, hat dieser so eindringlich erzählte kleine Roman großen Eindruck bei mir hinterlassen.

Cover des Buches Tamangur (ISBN: 9783858696410)
Jades avatar

Rezension zu "Tamangur" von Leta Semadeni

Sequenzen eines Lebens
Jadevor 9 Jahren

Der Grossvater hat sich aus dem Staub gemacht, nach Tamangur ist er verschwunden. Dabei schaut die Grossmutter immer an die Decke, wenn sie vom Grossvater und Tamangur erzählt. Das Kind schliesst daraus, dass Tamangur im Himmel ist. Die Grossmutter erzählt viel vom Grossvater mit den Seidenfüssen und welche Abenteuer sie zusammen erlebt haben. Paris hat sie gesehen, Dschungel und Wüsten und irgendwo in ihren liebenden Erinnerungen steckt auch die Wut einer herben Enttäuschung.

Das Kind vermisst den Grossvater ebenso, denn er erzählte die schönen Geschichten und trank mit ihm den Kaffee mit Zucker und Käse, auch wenn es die Grossmutter verboten hatte. Die Grossmutter sah es und glühte vor Empörung und immer bekam sie dann einen Kuss vom Grossvater. Der Grossvater machte das Leben leichter, kämpft das Kind doch mit seinen eigenen Geistern: Der (verschuldete?) Verlust des Bruders, und wo sind eigentlich die Eltern?

Zum Glück kommt Elsa häufig vorbei. Sie wohnt im gelben Haus bei den seltsamen Leuten. Meistens bringt sie Elvis mit, den sie im Restaurant Alpenrose kennengelernt hat. Elvis trägt einen Tarnanzug und verhält sich meistens still. Grossmutter mag Elsa sehr, sie ist nämlich für die Artenvielfalt und sie bringt mit ihren Ideen, Gesprächen und Fröhlichkeit viel Sternenstaub ins Haus.

In 73 Kapiteln oder Blicken ins Leben erzählt „Tamangur“ eine Geschichte über den Tod, das Loslassen, Erinnern und Vermissen. Aber im Vordergrund steht das pralle Leben mit all seinen Facetten. Der Tod ist wie ein Klang im Hintergrund, der uns an die Endlichkeit erinnert, aber an die Freuden des Lebens appelliert.

Leta Semadeni bezaubert mit feinfühligen Beschreibungen der Natur. Ebenso präzise charakterisiert sie ihre Protagonisten. Gerne schaut man als LeserIn durch die Augen Semadenis auf die Sequenzen eines erfüllten Lebens.


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