Rezension zu "Schattenklänge" von Lewis Shiner
Eine verdammt detailverliebte, spannende und vor allem metaphorische Geschichte
RockPopUllivor 4 JahrenEines vorweg: „Schattenklänge“ ist ein Roman, der in Deutschland 1996 veröffentlicht wurde und somit aktuell nicht mehr erhältlich sein wird. Der Zufall brachte mir dieses Buch ins Haus, und die Geschichte faszinierte mich sofort, weil sie sich fantasievoll mit der rockmusikalischen Vergangenheitsbewältigung der amerikanischen Roaring Sixties auseinandersetzt. Es geht darum, nostalgische Lebensgefühle in die Jetztzeit hinüberzuretten und sich den Spirit von einst für die heutige Lebenswelt nutzbar zu machen. Nicht jammern, dass das alles vorbei ist, sondern sich freuen, dass es immer weiter geht und den kreative Energien nie Grenzen gesetzt werden.
Dieser Erkenntisweg kann ein langer sein, das stellt der Techniker Ray Shackleford fest, der Stereoanlagen repariert, und mit sich, seiner Ehe und den Umständen seines Daseins in Austin mehr als unzufrieden ist. Er ist aufgewachsen mit den Beatles, den Stones und so vielen anderen und entdeckt eines Tages im Jahr 1988 seine Gabe, dass er legendäre Rock`n`Roll-Sessions, die zwar stattgefunden, aber nie auf Tonträgern veröffentlicht wurden, plötzlich hören und sogar telepathisch auf sein Cassettendeck übertragen kann.
Mit Hilfe von Graham, einem Plattenboß, der sich auf Oldie-Mitschnitte spezialisiert hat, veröffentlichen sie nach und nach und recht erfolgreich die unerhörten Klänge, die bei den Fans und der Fachwelt als absolute Sensationen angesehen werden. Mehr noch: Rays Fantasien katapultieren ihn sogar körperlich direkt in die Studios und in das Lebensumfeld jener Rockstars hinein, und so irrlichtert er durch die US-Szene, lebt ein paar Tage bei Brian Wilson von den Beach Boys und treibt ihn dazu, unbedingt das Konzeptalbum „Smile“ zu veröffentlichen. Oder er ist mit Jim Morrison unterwegs, mit Jimi Hendrix und greift als kenntnisreicher Zeitreisender in den Lauf der Rockmusik ein.
Das geht natürlich nicht immer gut aus und auch nicht immer so weiter, schon deswegen nicht, weil Ray parallel dazu sein reales Leben leben muss. Aber wie sich die Welten zunächst miteinander verbinden und wie Ray auf diesem Wege seinen Vater-Sohn-Konflikt löst und sein Verhältnis zu sich selbst und den Frauen erneuert, dass ist eine verdammt detailverliebte, amüsante, nachdenkliche, spannende und vor allem metaphorische Lektüre, dass es sich auf jeden Fall lohnt, in Antiquariaten nach diesem Buch zu suchen.