Libuše Moníková war mir überhaupt kein Begriff, bis ich „Treibeis“ in die Hand genommen habe, dabei war sie in den rund um die 1980er Jahre offenbar etwa zwanzig Jahre lang bis zu ihrem Krebstod 1998 eine stark beachtete Stimme im deutschen Literaturbetrieb, und zwar in der Abteilung mit kleinen Auflagen komplexer Romane mit anspruchsvoller Sprache und Thematik. Moníková – aus der Tschechoslowakei aus politischen Gründen geflohen – schrieb auf Deutsch, ihrer „Literatursprache“, mit der sie die Dinge neu sagen konnte. Ähnlich hat sich auch Abbas Khider einmal zu seiner neuen Sprache als Autor geäußert: Die Grausamkeiten seines Lebens im Irak müsse er auf Deutsch sagen, weil es auf Arabisch zu sehr weh täte (frei zitiert).
In „Treibeis“ ´mäandert der Englischlehrer Jan Prantl durch die schmerzhaften Themen des heimatlos entwurzelten Exilanten: Er ist Tscheche, gehörte zu den sagenumwobenen Parachutisten, deren erste Kommandos Heydrich ermordet hatten, musste vor den stalinistischen Säuberungen fliehen und landeten über aberwitzige Umwege in Angmagssalik (Ammassalik) in Grönland. Dort versucht er alkoholumnebelt, den Inuitkindern Shakespeare näher zu bringen. Er ergreift eher zögernd die Chance, zu einem Pädagogenkongress nach Österreich zu fliegen, wo er dann aber auf eine auserlesene Schar von Lehrerchargen trifft, bunt gemischt aus allen Ländern. Die Diskussionen zwischen den Vertretern des Ostblocks und des Westens oder zwischen den modernen Pädagogen und den Backpfeifenpedells sind rasant, anspielungsreich und sogar witzig: Angeheitert jagen ernstzunehmende Intellektuelle dem tollenden Prantl durch den Raum hinterher, um ihm ein originales Wittgenstein-Manuskript abzunehmen. Alle Makarenko-Exkurse hingegen würde ich nicht vermissen.
Wichtiger aber noch als der Lehrerstadel ist das Zusammentreffen mit Katja, der Stuntfrau und Greifengestalt Katja, mit der alles Wichtige teilt: die tschechische Herkunft, die Liebe zum Kino, die Sehnsucht nach der Heimat, den Schmerz des Exils und nicht zuletzt das Bett – bei ihrer Reise durch die Alpen immer wieder ein anderes.
Der Roman überrascht mit seiner Tiefe, seiner präzisen Sprache und seinen schweren Themen, die oftmals locker vermittelt werden, nämlich im Dialog. Dennoch fühlt sich die Lektüre der Erläuterungen Prantls etwa über den tschechischen Widerstand an wie eine Geschichtsstunde. Und schon der Auftakt in Grönland ermüdet mit seitenlangem Räsonieren über das zeitgenössische Theater Shakespeares. Zu oft wirken die Exkurse bemüht, aufdringlich intellektuell und zu lang. Beim Schwelgen in der Sehnsucht nach der alten Heimat im letzten Viertel des Romans ergriff mich jedoch tatsächlich ein leichter Phantomschmerz wegen des verlorenen Prags, das ich gleichwohl nie gekannt habe.
Von Grönland zu Wittgenstein, von Shakespeare zu Heydrich, von Stuntleuten zu Stalin – eine überraschende Mischung, kunstvoll, aber nicht immer gelungen angerichtet.
Libuse Moníková
Lebenslauf
Quelle: Verlag / vlb
Alle Bücher von Libuse Moníková
Treibeis
Eine Schädigung
Die Fassade
Treibeis
Der Taumel
Eine Schädigung und Pavane für eine verstorbene Infantin
Neue Rezensionen zu Libuse Moníková
Rezension zu "Eine Schädigung" von Libuse Moníková
Um ihr Konto aufzubessern, fährt Jana neben ihrem Studium eine alte Straßenbahn, die auf einer Strecke verkehrt, die nur noch selten von den Bürgern gebraucht wird. Noch dazu in der Nachtschicht, allenfalls verirrt sich ein eingeschlafener Arbeiter oder ein Betrunkener noch in diese Gegend. In einer dieser Nächte wird Jana von einem Polizisten aufgegriffen. Sie war den Berg zu Fuß hinuntergelaufen, die Straßenbahn hinter ihr, leer. Als Zeitvertreib und für die sportliche Betätigung. Aber der Weg, den sie sonst immer entlanglief, war nun gesperrt worden und sie lief in der Dunkelheit gegen ein für sie unsichtbares Tor.
Der Polizist hielt sie zuerst für einen Jungen. Jana ist groß und schlank, die Dunkelheit kam hinzu. Als er jedoch merkte, dass er ein junges Mädchen vor sich hatte, die sich (bedingt durch die Verletzungen nach dem Aufprall gegen das Tor) nicht fügen wollte, legt er ihr kurzerhand Handschellen an und vergewaltigt sie. Als er mit Jana fertig ist, schmerzen ihre Glieder und das Geschlecht umso mehr, sie kann sich kaum bewegen, ringt nach Luft, denn der schwere Körper des Mannes hätte sie beinahe erdrückt. Der Polizist befiehlt ihr zu gehen, aber sie bleibt an eine Mauer gelehnt stehen. Er zeiht den Knüppel, will sie erneut züchtigen, doch sie entreißt ihn ihm in ungeahnter Kraft und beginnt auf den Mann einzuprügeln, immer wieder schlägt sie auf ihn ein, bis er sich nicht mehr rührt.
Das Leben nach dieser Schädigung ist ein anderes. Jana sieht ihre Umgebung plötzlich mit anderen Augen, sie muss versuchen, wieder leben zu lernen. Scheu ängstigt sie sich vor menschlicher Nähe und doch möchte sie nicht allein sein, hat Angst davor. So flüchtet sie sich in die Anonymität der Kinos, wo sie unter Leuten ist, die sie aber nicht näher anzusehen braucht.
Die Geschichte eines jungen Lebens, das sich nach der Vergewaltigung wieder in die Normalität einfügen muss, ist geistreich erzählt und die Ängste sind realistisch dargebracht.
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