Cover des Buches Winterkind (ISBN: 9783940855367)
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Rezension zu Winterkind von Lilach Mer

Rezension zu "Winterkind" von Lilach Mer

von Ati vor 11 Jahren

Rezension

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Ativor 11 Jahren
Im Vorfeld las ich, dass es sich um eine Fortsetzung von Schneewittchen handeln soll. Doch obwohl sich in der Geschichte eine böse Mutter (anstelle der Stiefmutter), ein Spiegel, und sogar ein Apfel wiederfindet, ist Winterkind weit mehr als eine schnöde Fortführung besagten Märchens. Mer beschränkt sich nicht darauf, das schillernd-schöne Eheglück der jungen Frau an der Seite ihres Märchenprinzen, schützend umringt von den sieben Zwergen zu beschreiben. Tatsächlich ist Blanka ganz und gar unglücklich, wird von Ängsten geplagt, traut sich keinen Schritt vor die Tür. Beschützende Zwerge gibt es nicht und der vermeintliche Prinz hat durchaus Fehler. Sogar zur Beerdigung ihrer Mutter müssen Mann und Tochter alleine fahren. Nach deren Rückkehr spitzt sich die Lage zu. Während ein dichtes Schneetreiben das Herrenhaus von der Außenwelt abschneidet, muss sich Blanka den Schatten der Vergangenheit stellen. Diese bedrohen neben den gesellschaftlichen Umbrüchen gegen Ende des 19. Jahrhunderts sukzessive zunehmend nicht nur Blankas Zukunft. Abwechselnd aus Sicht der jungen Mutter und der des Kindermädchens Sophie nehmen Mers LeserInnen am Geschehen teil. Während Sophie eine bodenständige junge Frau ist, offenbart sich Blanka als sensibles, nahezu gebrochenes Wesen. Um dies zu überspielen, versucht sie krampfhaft Haltung zu bewahren, wirkt dabei stellenweise eiskalt. Ihren Charakter empfand ich sehr zwiespältig. Was auf der einen Seite Mitleid erweckte, stieß auf der anderen Seite ab. Immer mehr stellte sich heraus, dass Blankas Vergangenheit zu schrecklich ist, als dass sie sich daran erinnern will. Dass man dennoch erfährt, wie die junge Frau so geworden ist, liegt an den Kapitelenden, in denen Mers ihre LeserInnen einen anfangs kurzen und zunehmend längeren, teils verstörenden Blick auf Blankas Vergangenheit bzw. das Leben ihrer Mutter werfen lässt. Obwohl das das Erzähltempo bei allem, was tatsächlich geschieht, eher langsam ist, entstehen keine Längen. Flüssig und zugegebenermaßen etwas detailverliebt reiht Mer ein Wort ans andere. Letzteres dient jedoch der bedrohlich-dichten Atmosphäre, die den Roman neben den authentisch wirkenden Charakteren trägt. Die Autorin beschränkt sich nicht nur darauf, das (vermeintlich) gute und sichere Leben der besseren Gesellschaft zu beschreiben. Neben den sicherlich eindeutig damit verbundenen Vorteilen erfährt man auch von den damit einhergehenden Schattenseiten, von den gesellschaftlichen Konventionen ebenso wie von den Umbrüchen jener Zeit. Auch die ungleiche Chancenverteilung und der daraus resultierende Arbeiteralltag, die Bevormundung der kleinen Leute, die den Launen und dem Gutdünken ihrer Arbeitgeber ausgesetzt waren, wird anschaulich beschrieben. Von den Unbillen der Natur, denen alle ausgesetzt waren, ganz zu schweigen. Durch ihre Detailtreue macht die Autorin es LeserInnen leicht, in die damalige Zeit und die düster angehauchte, auf wenige Tage komprimierte Handlung mitten im Winter einzutauchen. Das mystisch-märchenhafte Element, welches der Spiegel in die Geschichte hineinbringt, schimmert immer wieder auf und hat mich lange Zeit auf eine völlig falsche Idee bezüglich des Romanendes gebracht. Dieses gestaltet sich überraschend leicht und logisch, ohne dabei unwirklich-falsch zu wirken. Fazit: Die Autorin lässt die Grenzen zwischen Fantasie und Wirklichkeit gekonnt verschwimmen. Winterkind - ein historisches Märchen? - hat mir Lust auf mehr Mer gemacht und war viel zu schnell ausgelesen. Einen Punkteabzug gibt es genau hierfür. Obwohl mich der Roman von der ersten bis zur letzten Seite gefangen hielt, wirkt er insgesamt betrachtet unfertig. Fortsetzung ungewiss. Deshalb möchte ich vier von fünf Punkten dafür vergeben. 2013 Antje Jürgens (AJ)
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