Rezension
slovvor 12 Jahren
Einem geschenkten Gaul guckt man nicht ins Maul, heißt es. Ich bekam es zum Welttag des Buches geschenkt … und freute mich auf so etwas wie „Weltliteratur“. Das Buch erinnerte mich sehr schnell an einen Spruch, den einer meiner literarischen Mentoren häufig gebrauchte: Nichts ist schwieriger als Langeweile zu beschreiben, weil es soll ja nicht langweilig sein … Am leichtesten sind meine Probleme mit Zitatstellen zu erklären. Nummer 1: „Ich will kühner sein“, sagte Ruth. „Ich bin es leid, aussehen zu müssen, wie ich aussehe ...“ (Es folgt eine halbe Seite Erläuterung auf Seite 75. Dann Absatz: „Ja“, sagte Ruth. „Aber ich will mich ändern. Ich will mir nicht mehr jeden Tag die Haare waschen. Ich will es mit jedem zweiten Tag probieren. Ich wünschte, ich wäre jemand, der sich eine Woche lang nicht die Haare wäscht.“ Eigentlich ist das eine geniale Charakteristik einer Person – allerdings eine karikierende. Wenn sich so intelligentes Gewäsch aber auf über 300 Seiten erstreckt, kommt zumindest bei dir einmal der Moment, an dem ich aufgebe. Nummer 2 (Seite 215): „Wie backen Sie die Klopse?“ fragte sie Zofia. „Zofia backt sie in Muffinformen“, sagte Walentyna. „In Polen gibt es keine Muffins“, sagte Zofia. „Sowieso nicht“, sagte Edek. „Muffins sind das Letzte.“ „Ich mag keine Muffins“, sagte Waletyna. „Ich mag auch keine Muffins“, sagte Zofia. „Ich mag auch keine Muffins“, sagte Ruth rasch. … Für stark wahrnehmungsbeeinträchtigte Menschen gibt es „Leichte Sprache“, die so einfach ist, dass sie als „barrierefrei gilt. Ein Merkmal: Gebrauch desselben Wortes für denselben Sachverhalt. Das ist hier gut gelungen: Sieben kurze Sätze, siebenmal „sagte“ - unmittelbar aufeinander. Normalerweise sollte direkte Rede eine Erzählung lebendiger wirken lassen. Sie ist sozusagen Salz und Pfeffer, also das Gewürz, das einem Gericht Geschmack verstärkt. Aber man muss sich doch nicht esslöffelweise Salz und Pfeffer auf die Zunge schütten! Es ist schon schwer erträglich, wenn die auf originell aufgemotzte Frauenselbsthilfegruppengründerinnenmono-Dialogik für sich auf wichtig macht. Wenn das Ganze aber als Psychotrip der 2. Holocaustgeneration daher kommt, sozusagen als posttaumatischer BelastungsstörungsWeltschmerz tut es weh. Ich beende mit einem Zitat aus Seite 79. (Die Handlung des Buches wäre eine wunderbare Kurzgeschichte geworden: Der Umgang einer Frau in mittleren Jahren mit der Liebe ihres über 80jährigen Vaters in einem eigentlich interessanten persönlichen und geschichtlichen Beziehungsgeflecht gehört wirklich dargestellt. Aber doch bitte nicht derart prostituierend breit getrampelt...) Nummer 3: „...Lag es an all diesen Lügen, daß du das Gefühl hattest, weniger bedrängt zu sein, weniger eingeschränkt, deinen eigenen Platz zu haben?“ „Ich weiß nicht“, sagte Sonja. „Ich glaube, das mit dem eigenen Platz kann eine reine Frage der inneren Einstellung sein“, sagte Ruth. „Du hast dich so oft analysieren lassen, daß du alles der inneren Einstellung zuschreibst“, sagte Sonja. Du denkst wahrscheinlich, auch das Wetter und die Müllabfuhr wären Fragen der inneren Einstellung.“ „In der Tat verlagere ich innere Ängste gelegentlich auf das Wetter, das ein äußerer Faktor ist, wie ich zufällig weiß“, sagte Ruth. „Aber in Sachen Müllabfuhr muss ich passen. Das ist für mich nur die Müllabfuhr.“ Zumindest in einer Hinsicht war das Buch für mich wertvoll: Sollte es irgendwo ein Körnchen Sehnsucht nach weit weg gegeben haben … N.Y. Fällt endgültig aus dem Kreis der weitesten Kandidaten heraus. Wenn die Frauen dort so sind, …