Rezension zu "Smaragdvogel" von Linda Holeman
Wie schon andere hier festgestellt haben: Titel und Aufmachung des Romans sind irreführend. Es ist keine romantische Geschichte, auch wenn sie einige wohldosierte romantische Elemente enthält. Daneben aber finden sich Bestandteile eines schonungslosen Gesellschaftsromans, Spannungsmomente wie aus Thrillern und schockierende Darstellungen bis hin zu trashartigen Zügen. Dass all das zusammen trotzdem aus einem Guss ist und einen von der ersten bis zur letzten Seite fesselnden Roman ergibt, ist die grandiose Leistung Linda Holemans, die hiermit ein bemerkenswertes Debüt vorgelegt hat (dem viele weitere Werke folgen sollten, die ich bis jetzt noch nicht kenne).
Schlüssel dieser Stimmigkeit ist die Hauptfigur Linny Gow als Ich-Erzählerin, die als Persönlichkeit viele Facetten vereint: Herkunft aus der Unterschicht, aufgrund der Erziehung durch die früh verstorbene Mutter dennoch gebildet und weiterhin an Bildung interessiert, moralisch integer, aber nicht naiv, sensibel, aber aufgrund ihrer Erlebnisse abgeklärt und tough: insgesamt glaubhaft, und somit auch ihre Stimme, wie sie ihre Geschichte erzählt: einfach und klar, emotional, aber nie kitschig, präzise und detailreich, aber sich nie in überflüssigen Beschreibungen verlierend.
Wenn natürlich auch einzelne Begebenheiten der Story nicht sehr realistisch sind (was einen packenden Abenteuerroman ausmacht), ist der Hintergrund insgesamt authentisch: ja, im England jener Zeit lebten Mädchen, die genau das erlitten haben, was Linny erlebt hat; nur überlebt hätte wohl niemand, was in jener schicksalhaften Nacht bei ihrem wahnsinnigen Freier und seinem Gefolge passierte. Und ebenso ist die Situation der englischen Frauen im Indien der Kolonialzeit sicherlich präzise und emphatisch geschildert; nur ist die Art und Weise, wie sich Linny befreit, von sehr vielen Unwahrscheinlichkeiten begleitet. Aber genau das macht die Dramatik dieses Romans aus: sie ist wirkungsvoll und in sich stimmig, man lässt sich fesseln und fiebert mit.
Ein komplettes Happy-End gibt es nicht; Verlust und Verzicht spielen eine große Rolle, jedes Glück hat seinen Preis, aber der Weg, den Linny gegangen ist, führt sie zu sich selbst, umgeben von jenen, die ihr wirklich wichtig sind.
Bewegend, höchste Empfehlungsstufe!