Lindy Grant

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Cover des Buches Grant, L: Blanche of Castile, Queen of France (ISBN: 9780300219265)
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Rezension zu "Grant, L: Blanche of Castile, Queen of France" von Lindy Grant

Blanka von Kastilien - Königin und Regentin von Frankreich
Andreas_Oberendervor 4 Jahren

Frankreichs Geschichte kennt nicht nur große Könige, sondern auch große Königinnen. Diese Feststellung mag irritierend klingen, denn bekanntlich konnten Frauen in Frankreich nicht die Krone erben. Eine historisch bedeutsame Rolle konnten die Gemahlinnen bzw. Witwen der französischen Herrscher nur dann spielen, wenn sie als Regentinnen stellvertretend für einen abwesenden Ehemann oder einen minderjährigen Sohn die Herrschaft ausübten. Die erste Regentin der französischen Geschichte war Blanka von Kastilien (1188-1252), die Gemahlin Ludwigs VIII. (1187-1226) und Mutter Ludwigs IX., des Heiligen (1214-1270). Zweimal führte Blanka für mehrere Jahre die Regierungsgeschäfte: Zum ersten Mal nach dem frühen Tod ihres Gatten, ein zweites Mal, als sich ihr Sohn 1248 auf Kreuzzug ins Heilige Land begab. Schon immer wurde Blanka von Kastilien zu den bedeutenden Herrschergestalten des 13. Jahrhunderts gezählt. Blankas Ansehen hat sich allerdings nicht in einer großen Zahl von Biographien niedergeschlagen. Das Buch der britischen Mediävistin Lindy Grant ist die erste wissenschaftliche Biographie der Königin und Regentin seit dem späten 19. Jahrhundert. Nicht allein Fachhistoriker, sondern auch historisch interessierte Laien können die verständlich geschriebene Biographie mit großem Gewinn lesen. Kenntnisreich und anschaulich erzählt Grant die Lebensgeschichte einer herausragenden Herrscherin, und zugleich bietet sie einen faszinierenden Einblick in die Zeit, als die Dynastie der Kapetinger dem Zenit ihrer Macht zustrebte. Grant hat ihr Buch in zwei Teile zu je sechs Kapiteln gegliedert. Die ersten sechs Kapitel sind chronologisch angelegt und schildern Blankas Leben. Die Kapitel 7 bis 12 sind thematisch angelegt und behandeln vertiefend ausgewählte Aspekte.

In vielerlei Hinsicht kann die Biographie als vorbildlich gelten. In der Einleitung diskutiert Grant den aktuellen Forschungsstand. Sie setzt sich kritisch mit den Stärken und Schwächen der feministisch inspirierten "Königinnenstudien" (queenship studies) auseinander, die sich in der anglophonen Geschichtswissenschaft seit einiger Zeit großer Beliebtheit erfreuen. Grant formuliert die Fragestellungen, die das Buch strukturieren, und sie geht auf die Quellen ein, die für eine Biographie Blankas von Kastilien zur Verfügung stehen. In der nachfolgenden Darstellung wird das Leben und politische Wirken der Königin-Regentin umfassend kontextualisiert, so wie man sich das als anspruchsvoller Leser von einer wissenschaftlich fundierten Biographie wünscht. Die politische Geschichte Frankreichs und Westeuropas wird ebenso berücksichtigt wie die Geistes- und Kirchengeschichte, die Kunst- und Architekturgeschichte der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Meisterhaft leuchtet Grant das Umfeld aus, in dem die Kapetinger Herrschaft ausübten: Politische Strukturen; die Beziehungen zu anderen Monarchien; intellektuelle und theologische Strömungen der Zeit; kulturelle Normen und Wertvorstellungen. Die Anschaulichkeit der Darstellung ist umso bewundernswerter, als einer Annäherung an Blanka von Kastilien durchaus Grenzen gesetzt sind. Als Individuum, als Persönlichkeit wird die Königin-Regentin nur in Ansätzen greifbar. Das kann niemanden verwundern, der regelmäßig Biographien von Herrscherinnen und Herrschern des Hochmittelalters liest. Blankas Kindheit in Kastilien liegt im Dunkeln. Wenig lässt sich über die Erziehung und Bildung sagen, die die spätere Königin erhielt. Quellenmäßig gut dokumentiert sind vor allem jene Jahre, in denen Blanka als Regentin die Herrschaft ausübte (1226 bis 1234, 1248 bis 1252).

Mag der Blick in Blankas Gedanken- und Gefühlswelt auch schwierig sein, so zeichnet Grant dennoch ein facettenreiches Porträt der Königin-Regentin. Sie zeigt Blanka in vielen Rollen: Als umsichtig und energisch handelnde Politikern, als Mutter einer großen Kinderschar, als glaubensstarke Christin, als Bauherrin und großzügige Förderin der Künste, als prominentes Mitglied eines weitläufigen Verwandtschaftsnetzwerkes, das ganz Westeuropa umspannte. Die engen, vertrauensvollen Beziehungen zum Ehemann und zum ältesten Sohn nehmen breiten Raum in der Biographie ein. Als Ludwig VIII. im Herbst 1226 auf dem Sterbebett lag, bestimmte er zum Erstaunen von Adel und Geistlichkeit seine Gemahlin zur alleinigen Regentin für den noch minderjährigen Thronfolger Ludwig. Dafür gab es keinen Präzedenzfall in der Geschichte der Kapetingermonarchie. Blanka zog sich nicht aufs Altenteil zurück, als ihr Sohn 1234 die Selbstherrschaft antrat. Ihre Stimme hatte weiterhin Gewicht. Es war ein Ausdruck höchster Wertschätzung, als Ludwig IX. seine schon betagte Mutter erneut zur Regentin berief, bevor er 1248 in den Orient aufbrach. Grant korrigiert so manche Fehlwahrnehmung früherer Zeiten: Die Probleme und Herausforderungen, vor denen Blanka als Regentin für den minderjährigen Sohn stand, waren weniger gravierend, als lange angenommen wurde. Es kann keine Rede davon sein, dass sich die Monarchie während der Jugend Ludwigs IX. in einer schweren Krise befunden habe. Die Mehrheit des Adels, die gesamte Geistlichkeit und die Städte Frankreichs standen loyal hinter der Regentin. Die Zeitgenossen brachten einer regierenden Frau weniger Ressentiments entgegen, als es spätere Jahrhunderte wahrhaben wollten. Von besonderem Wert sind die Kapitel, die Blankas Bautätigkeit (Gründung der Klöster Royaumont, Maubuisson und Le Lys) und Kunstpatronage untersuchen.

Lindy Grant bekräftigt den Platz Blankas von Kastilien in der Schar der großen westeuropäischen Herrschergestalten des 12. und 13. Jahrhunderts ein: Heinrich II. von England und Eleonore von Aquitanien (Blankas Großeltern mütterlicherseits), Richard Löwenherz, Philipp II. August von Frankreich, Ludwig der Heilige. Wie Grant betont und überzeugend darlegt, hatte Blankas Herrschaft nichts spezifisch Weibliches. Die Königin-Regentin nutzte im Wesentlichen die gleichen politischen Instrumente, die auch gekrönten Männern zur Verfügung standen. In diesem Lichte betrachtet, hat Blankas Wirken als Regentin nichts Exotisches. Nur ein einziger Wermutstropfen stört die Lektüre: An vielen Stellen gestattet sich Grant ein schwer erträgliches Name-Dropping. Im Gewirr der Personennamen und Verwandtschaftsgrade verliert man als Leser mehr als einmal den Überblick. Davon abgesehen ist die Biographie ausgezeichnet und sehr empfehlenswert. 

(Hinweis: Diese Rezension habe ich zuerst im Juli 2017 auf Amazon gepostet)

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