Rezension zu "Brennender Zorn" von Line Holm
Während der Corona-Pandemie haben sie traurige Berühmtheit erlangt, nun eröffnen sie auf gewisse Weise den zweiten gemeinsamen Kriminalroman der beiden Autorinnen Line Holm und Stine Bolther – die Rede ist hier von den dänischen Nerzen, auf die das COVID-19-Virus ebenfalls übersprang und die daraufhin auf Anordnung der Regierung getötet werden mussten. Sage und schreibe 15 Millionen Tiere wurden so gekeult und vergraben, bis viele Kadaver nur wenig später wieder aus der Erde gehoben werden mussten, weil die Gefahr einer Verseuchung des Grundwassers bestand. Auch “Brennender Zorn” beginnt mit einer solchen Aufräumaktion, allerdings bringen die Grabungen hier nicht nur teilweise verweste Nerze, sondern auch ein menschliches Skelett zutage.
Polizeihistorikerin Maria Just ermittelt in der dänischen Kriegsgeschichte
An dieser Stelle kommt wie schon im Auftaktband “Gefrorenes Herz” die Historikerin Maria Just ins Spiel, die das Schicksal der als Frau identifizierten Toten für das Polizeimuseum aufarbeiten will. Der gewaltsame Tod des Opfers fällt nämlich mit hoher Wahrscheinlichkeit in die Jahre des Zweiten Weltkrieges und bietet so die Möglichkeit zur Aufarbeitung einer auch für Dänemark sehr bewegten Zeit. War die junge Frau womöglich eine mutige Widerstandskämpferin, die von den Nazis hingerichtet wurde, oder waren ihre Mörder vielleicht sogar Dänen, die in ihr ein “Deutschenflittchen” sahen und für einen Verrat am eigenen Volk bestraften?
Die dänische Polizei unter Beschuss an mehreren Fronten
Allerdings ist Maria auch diesmal nicht die einzige Hauptfigur sondern wird ein weiteres Mal ergänzt von ihrem Polizeikollegen Mikael Dirk vom Dezernat für Schwerverbrechen, der es mit einem sehr persönlichen Fall zu tun bekommt. Sein eigener Chef und Freund Niels Carlsen wurde nämlich unweit des eigenen Zuhauses während seiner Laufrunde von einem Auto überfahren und alle Spuren deuten daraufhin, dass die hinterlistige Tat mit voller Absicht ausgeführt wurde. Hatte es hier jemand gezielt auf den Abteilungsleiter abgesehen oder wurde dieser stellvertretend für die stark in der Kritik stehende Polizei angegriffen?
Ein Land leidet unter den Folgen der Corona-Pandemie
In den Roman-Neuerscheinungen der jüngeren Vergangenheit erlebt man es häufig, dass die Corona-Pandemie weitestgehend totgeschwiegen wird und die Jahre 2020-2022 entweder ausgelassen werden oder scheinbar in einer Parallelwelt stattfinden, die nie von COVID-19 heimgesucht wurde. Die beiden Däninnen Line Holm und Stine Bolther gehen jedoch einen anderen Weg, wie man schon auf den ersten Seiten mit dem Nerz-Debakel erahnen kann. Zwar sind zum Zeitpunkt der Geschichte die vermeintlich schlimmsten Monate bereits überstanden und die Charaktere können wieder auf weitestgehend normale Weise ihrer jeweiligen Arbeit nachgehen, dennoch sind die Spuren der herausfordernden Zeit auf die Bevölkerung unverkennbar. Die Stimmung im Land ist aufgeheizt, Querdenker und Rechte haben massiven Zuwachs bekommen, die Staatskassen sind nach vielen Corona-Hilfen leer und die dänische Polizei läuft auf der letzten Rille. Viele Mitarbeitende kommen mit dem Druck und den ständigen Anfeindungen nicht mehr zurecht und haben sich krankgemeldet, sodass Kopenhagen immer mehr zu einem rechtsfreien Raum wird, wo das Gesetz des Stärksten gilt und viele sich kaum noch aus dem Haus trauen.
Spannende und glaubwürdige Verbindung von Geschichte und Gegenwart
Für viele mag dieser konkrete Realitätsbezug möglicherweise abturnend sein und unliebsame Erinnerungen wecken, andererseits wirkt “Brennender Zorn” aber gerade dadurch sehr authentisch und der Ausnahmezustand einschließlich der allgegenwärtigen Anspannung jederzeit nachvollziehbar. Die Autorinnen schaffen es zudem, die Probleme der Gegenwart bzw. jüngeren Vergangenheit geschickt mit der Historie Dänemarks zu verknüpfen und somit auch eine erneute und vor allem schlüssige Verbindung zwischen den beiden Hauptfiguren zu erzeugen. Auch die Dynamiken der Charaktere zueinander sind interessant und setzen wirksame Reizpunkte, etwa wenn es um die unsicheren romantischen Annäherungen zwischen Maria Just und Mikael Dirk geht oder es zu Spannungen im Arbeitsverhältnis zwischen Mikael und seinem Kollegen Frederik Dahlin kommt. So ergibt sich insgesamt ein erneut überzeugender und glaubwürdiger Kriminalroman, der zwar selten für ganz großen Nervenkitzel sorgt, aber viele interessante Zutaten zu einer stimmigen und jederzeit unterhaltsamen Geschichte vermengt. Man darf jedoch gespannt sein, wie Line Holm und Stine Bolther die inhaltliche Zusammenarbeit ihrer beiden Hauptfiguren in Zukunft aufrechterhalten können, ohne dass die wiederholten beruflichen Verstrickungen der Historikerin und des Kommissars zu unwahrscheinlich werden.