Regiokrimis sind immer so eine Sache. Was am Ort des Geschehens manchmal für wahre Begeisterungsstürme bei den Lesern sorgt, kann fünfzig Kilometer weiter bereits schon wieder ein desinteressiertes Achselzucken hervorrufen, ist doch in den meisten Fällen der lokale Bezug der Kitt, welcher das Gefüge der Handlung zusammenhält. Und diese muss sich nicht zwangsläufig der typischen Elemente des Kriminalromans bedienen, sondern in erster Linie Wiedererkennungswert bieten, was unter anderem ein Grund ist, warum es viele Autoren schwer haben, einen überregionalen Bekanntheitsgrad zu erreichen. Ein weiterer ist, wenn das auch in der betreffenden Stadt oder Gegend nicht gern gehört wird, das fehlende Handwerkszeug. Nicht selten betreiben die Schriftsteller ihre Schreiberei nebenberuflich, scheint der Schreibprozess nach dem „Ich-wollte-schon-immer-mal-einen-Krimi“-Schema seinen Anfang genommen zu haben. Als Folge kann darunter die Qualität leiden, was es dem interessierten Leser schwer macht, zwischen gelungenem Kriminalroman oder seichter regionaler Geschichte zu unterscheiden.
Mit „Campus-Mord in Bielefeld“ steht nun der zweite Roman des Autorenduos Lisa Glauche und Matthias Löwe auf dem Prüfstand, die hier erneut ihren Hobbyermittler Bröker ins Rennen schicken, wobei letzteres weniger wörtlich zu nehmen ist, da der übergewichtige und gutbetuchte „Privatier“ in der Regel das schnelle Essen der schnellen Bewegung vorzieht.
Nun ist der „Mr. Marple“ aus Bielefeld, so genannt von der Presse nach seiner erfolgreichen Mitarbeit bei der Auflösung des Falls Schwackmeier (siehe „Tod an der Sparrenburg“), noch ein Stückchen träger und dicker geworden – die Aufregung eines Verbrechens scheint ihm, der früher die Ruhe stets genossen hat, sichtlich zu fehlen. Um einen Teil der beträchtlichen Leibesfülle los zu werden, schnappt er kurzentschlossen seine mittlerweile viel zu knappe Badehose und macht sich auf ins Schwimmbad der Bielefelder Universität. Bevor er allerdings auch nur seinen Zeh ins Becken halten kann, macht ihm und den anderen Besuchern ein grausiger Fund einen Strich durch die Rechnung. Eingepackt in einen großen Plastiksack wird die Leiche eines jungen Mannes aus dem Wasser gezogen.
Plötzlich fällt jegliche Lethargie von Bröker ab. Gemeinsam mit seinem jungen Mitbewohner Gregor macht er sich an die Aufklärung des Falls und hat auch schon bald einen Verdächtigen. Professor Schlangenbader, Dozent an der Universität und Vater des ermordeten Florian Schlangenbader, zeigt nur wenig Kummer ob des Ablebens seines Sohnes und hat offensichtlich auch zu der in den Bodelschwinghschen Anstalten untergebrachten Tochter kein gutes Verhältnis. Bevor jedoch Bröker seine Vermutungen untermauern kann, hat die Polizei schon Haftbefehl gegen diesen erlassen. Doch haben sie wirklich den Richtigen?
Bröker, dem der Professor äußerst unsympathisch ist, hat Zweifel und wühlt in der Vergangenheit der Familie Schlangenbader. Und schließlich führt ihn ausgerechnet eine Zeichentrickserie auf die richtige Spur...
Die Lektüre von „Campus-Mord in Bielefeld“ war für den Rezensenten auch fast so etwas wie ein persönlicher Blick in die Vergangenheit, kennt er doch die im Buch beschriebenen Örtlichkeiten als Kind der Stadt äußerst genau. Zudem hat er einige Semester am Tatort studiert. Das ist im Falle dieser Rezension Fluch und Segen zugleich, da man den zweiten Fall Brökers aus der Sicht des Zielpublikums, nämlich der Bielefelder und Ostwestfalen, wahrnimmt und somit die Objektivität, welche bei der Bewertung eines Romans ohnehin nie gewährleistet werden kann, unbewusst darunter leidet. So steht am Ende die Frage: War es wirklich die Handlung des Kriminalromans oder nur der „Ach-das-kenn-ich-doch-auch“-Effekt, der hier unterhalten hat?
Fakt ist jedenfalls: Das Autorenduo Lisa Glauche und Matthias Löwe hat sich gegenüber dem doch arg zähen Vorgänger steigern können und endlich in den Rhythmus gefunden. „Campus-Mord in Bielefeld“ wirkt, trotz größeren Umfangs, wesentlich zielgerichteter, die Schreibweise ökonomischer. Wenngleich der Leser auch im zweiten Band einige Wiederholungen erdulden muss, so sind diese nun besser dosiert. Statt immer wieder auf dieselben Dinge hinzuweisen und damit die eigentlichen Ermittlungen zu bremsen, kommt man endlich öfters auf den Punkt. Diesmal schläft Bröker während eines Einbruchs nicht plötzlich ein oder lässt sich durch Fußballspiele von seinen Nachforschungen abhalten. So amüsant diese Verbindungen mit der heimischen Arminia waren – in „Tod an der Sparrenburg“ war das der Ballsport-Anekdoten ein bisschen zu viel. Das scheinen auch Glauche und Löwe erkannt und sich stattdessen besonders der Zeichnung der Figuren gewidmet zu haben.
Hauptprotagonist Bröker, der im Erstling vor allem eins, nämlich ziemlich einschläfernd und langweilig war, kommt nun weit besser ausgearbeitet daher. Zwar immer noch behäbig und trottelig, zeigt er jetzt endlich Einsatz und Ideenreichtum. Wo zuvor Mitbewohner Gregor mittels Internetrecherche für Fortschritte im Mordfall sorgte, lässt sich diesmal Bröker höchstpersönlich vom Verdächtigen durch die Vorgärten Werthers jagen. Anschließende Flucht auf einem Kinderroller inklusive. Und das liest sich in „Campus-Mord in Bielefeld“ sogar richtig komisch, da Glauche und Löwe in Punkto Timing inzwischen ihre Hausaufgaben machen. Das wirkt sich letztlich dann auch auf die Authentizität der Figuren aus. Es „menschelt“ plötzlich, schmeckt „ostwestfälisch“ – und das tut der Reihe richtig gut.
Auch in Bezug auf den Spannungsaufbau legen die Autoren einen Zahn zu. Die Nachforschungen Brökers sind wesentlich aktionsreicher geworden, die Auflösung gelingt diesmal schlüssig und plausibel. Richtige Sogkraft kann „Campus-Mord in Bielefeld“ dann aber trotzdem wieder nicht entwickeln, was schlichtweg daran liegt, dass es bis zum Ende bei einem einzigen Verdächtigen bleibt. Die „Wer-ist-es-gewesen“-Frage wird somit obsolet. Und das letztliche „Warum“ ist zwar wie erwähnt nachvollziehbar, bietet jedoch auch wenig Neues oder gar ein Überraschungsmoment. Hinzu kommt das weiterhin sehr „ostwestfälische“ Tempo der Geschichte, welches mögliche dramaturgische Höhepunkte immer wieder verschleppt.
Am Ende muss man konstatieren: Wer einen richtig spannenden, literarisch runden Kriminalroman sucht, sollte sich beim Verlag Pendragon lieber die Namen Mechtild Borrmann, Frank Göhre oder David Osborn näher anschauen. Freunde regionaler, kurzweiliger Unterhaltungsliteratur aus dem Raum Bielefeld und Umgebung dürfen sich jedoch diesen Blick auf ihre Heimat auf keinen Fall entgehen lassen.