Rezension zu "Fremde Hochzeit" von Lisa Moore
"Vielleicht ein Jahrestag oder der Zeitpunkt eines einzelnen Ficks“. Lisa Moore ist eine der großen kanadischen Schriftstellerinnen. Sie steht in der Tradition von Alice Munro, John Updike und Richard Ford, schreibt schöne, schmerzvoll wirklichkeitsnahe Erzählungen. Bekannt scheint sie hier bisher nicht zu sein, obwohl der Band „Fremde Hochzeit“ mit elf ausgewählten Erzählungen von 1995 bis 2018 ihr viertes ins Deutsche übersetze Buch ist. Höchste Zeit, vor allem ihren Erzählstil zu entdecken! Denn sie schreibt anschaulich, sinnlich und komplex von „hormonellen Metamorphosen“ im bürgerlichen Milieu. Romantik? Na ja, eher nicht: Eleanor schaut ihrem Ehemann Philip auf der Hochzeit einer Freundin beim Flirten mit einer Blondine zu. Muss sie das dulden, weil sie eine offene Beziehung führen? Wie offen eigentlich? Es stimmt, was alle zu Donna sagen: Man kann sich keinen liebevolleren Vater als Cy vorstellen. Trotzdem schläft er nach der Geburt des Kindes einmal mit einer anderen Frau. Ein gereifter Mann sieht die Frau, in die er dieses eine Mal im Leben so richtig verliebt war, aber mit der eine Beziehung nie etwas geworden ist oder wäre, nach 35 Jahren wieder, in der Ausnahmesituation eines starken Schneesturms. Du sitzt beim Friseur, lässt dir die Haare von der glücklichen Single-Stylistin färben und kurzschneiden. In dir grollt die zurückliegende Scheidung. Du fühlst dich allein. Eine andere Frau trauert, denkt delirierend an ihren toten Mann, während ihre Partybekanntschaft, Zahnarzt, halbtrunken ihren schmerzenden Zahn zieht und ihr anschließend einen Antrag macht. Moore rafft Episoden aus den Lebensläufen ihrer Figuren zu dichten Erzählungen zusammen, setzt die Bruchstücke zu „Collagen von Erinnerungen“ und Bewusstseinsströmen mit der Situation zusammen, die die Erinnerungen plötzlich ausgelöst hat: „Ich musste daran denken, dass die Liebe aus vereinzelten Augenblicken besteht und dass sie es sind, die wir ersehnen.“ Alle Figuren, die in der Mehrheit Frauen sind, erleben wir beim zweifelhaften und verzweifelten Lieben, in überschäumenden Geschichten vom flüchtigen, aber augenblicklich immer intensiven und ebenso egoistischen Begehren.