Cover des Buches Bienensterben (ISBN: 9783832197285)
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Rezension zu Bienensterben von Lisa O'Donnell

Ehrlich, direkt und sehr zu Herzen gehend

von Aleshanee vor 6 Jahren

Kurzmeinung: Offen, ehrlich und dramatisch - Schicksale, wie sie überall passieren, hat mich sehr beeindruckt!

Rezension

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Aleshaneevor 6 Jahren
Ich weiß grade gar nicht so recht, wo ich anfangen soll. Ich hatte eher mit einer schwarzhumorigen Komödie gerechnet, was sie zum einen Teil auch ist, wobei ich stellenweise nicht wusste, ob ich tatsächlich lachen oder weinen sollte.

Erzählt wird aus drei verschiedenen Perspektiven:

❇ Marnie ist 15 und denkt über sich selbst (Zitat auf Seite 12) "Zu jung zum Rauchen, zu jung zum Trinken und zu jung zum Ficken, aber wer sollte mich aufhalten?"
Sie ist sehr direkt in ihren Gedanken, mit denen sie sich dem Leser mitteilt, auch wenn sie selbst es gar nicht weiß. Sie verbarrikadiert alles hinter hohen Mauern, verdrängt was nur möglich ist, um ihr Leben auch nur einigermaßen erträglich zu machen.

❇ Nelly ist 12 und ihre jüngere Schwester. Während Marnie sich jedoch ständig betäubt und seelische Schmerzen zufügt, um andere Schmerzen zu vergessen, flüchtet sich Nelly in eine absolut andere Welt. Sie redet wie eine Erwachsene, spielt Geige wie eine Virtuosin und biegt sich die Wirklichkeit so zurecht, wie sie sie gerade noch bewältigen kann.

Beide sind klug, gewitzt und wahre Überlebenskünstler, denn das Leben, das ihre Eltern ihnen geboten haben, hat ihnen nichts geschenkt. Alkohol, Drogen, sexuelle Ausschweifungen und Vernachlässigung, das klingt so leicht dahin geschrieben aber wenn man liest, wie Marnie in ihrer spöttischen, bitteren Ironie erzählt was alles abgelaufen ist und wie sie damit umgeht, trifft es mitten ins Herz.

❇ Ins Herz trifft es auch Lennie, ihren Nachbarn. Einen älteren Mann, dessen Einsamkeit nur durch seinen Hund Bobby durchbrochen wird. Als er entdeckt dass die beiden Mädels plötzlich völlig alleine dastehen wird sein Beschützerinstinkt geweckt - und das Bedürftnis, das jeder in uns trägt: gebraucht zu werden.

Man muss hier wirklich auf die Feinheiten achten und zwischen den Zeilen lesen, denn auch wenn Marnie unverblümt und scheinbar ohne Gewissen vieles recht locker sieht, merkt man wohl wie ihr alles zuviel wird und wie sie sich danach sehnt, Menschen um sich zu haben die sich um sie kümmern, ihr Geborgenheit und Liebe schenken. Denen es wichtig ist, was sie tut.
Auch Nelly, bei der man noch schwerer hinter die Kulissen schauen kann, ist völlig überfordert und klammert sich an den einzigen Halt den sie in ihrem bisherigen Leben vor einem Absturz bewahrt hat: ihre große Schwester.
Lennie hingegen fühlt sich schuldig. Auch in seinem Leben lief nicht alles rund, aber im Herzen ist er ein guter Mensch und ein Segen für die beiden Mädchen.

Ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen! Eine Katastrophe folgt der nächsten, ich war schockiert, bestürzt, hoffnungsvoll und gerührt, während diese drei Menschen alles versuchen, um das Leben in den Griff zu bekommen.
Die Kapitel sind sehr kurz und wechseln ständig zwischen den Charakteren ab - ein sehr guter Aufbau, weil man so auch öfters die Situationen aus den verschiedenen Sichtweisen erleben konnte. Es geht um Schuld, Scham, Verantwortung und Wiedergutmachung, um das Gefühl gebraucht zu werden, gesehen, angenommen, geliebt zu werden. Ohne dabei jedoch den anderen zu ersticken, sondern im die Luft zum Atmen, zum Leben zu lassen. Eben das, wonach sich jeder Mensch tief im Inneren sehnt.

Der Kern dabei war für mich auch die große Verantwortung die Eltern tragen, und warum manche das nicht können. Natürlich kommt hier die Frage nach der Schuld auf, doch die Autorin hat hier sehr schön gezeigt, dass man es sich damit oft zu leicht macht. Denn auch die Eltern hatten Eltern, unter denen sie aufgewachsen sind, und auch diese hatten Eltern, die ihnen ihren Stempel aufgedrückt haben. Es ist sehr schwierig, hier eine Grenze zu ziehen und obwohl ich hier natürlich die Eltern als Schuldige sehe (die wirklich bis ins letzte alles falsch gemacht haben), hatten sie durch ihre Vorgeschichten ebenfalls wenig Chancen, es anders, es besser zu machen.
Man kann nur hoffen, dass irgendwer mal diesen Kreislauf durchbricht, dass Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene auf Menschen treffen die ihnen helfen können und sie einen Weg finden lassen, der Hoffnung auf etwas besseres verspricht. Und nein, das ist nicht leicht und nicht jeder kann das.

Aber auch die Vorurteile werden thematisiert, gerade Jugendlichen gegenüber, denn auch wenn man oft denkt, wie schlimm und schlampig und aggressiv und respektlos sie sich aufführen, hinter jedem dieser Menschen steckt eine Vergangenheit die wir nicht kennen, steckt ein Leben mit dem sie leben müssen und man darf sich kein Urteil erlauben bevor man nicht weiß, was sie zu dem gemacht hat, der sie jetzt sind. Die Autorin hat eine sehr entwaffnende Art, die Situationen auf eine witzige, tiefgründige und nachdenklich machende Weise zu erzählen, die mich sehr beeindruckt hat.

Kinder sind sehr anpassungsfähig und lieben ihre Eltern, egal was sie tun oder nicht tun, aber sie bezahlen dafür mit einem seelischen Schaden, der selten zu heilen ist. Sie leben, natürlich, die Frage ist nur: wie.
Solche Narben spürt man ein Leben lang und man kann nur hoffen, dass sie darüber hinaus wachsen, mit Menschen, die sie unterstützen und ihnen zeigen, dass sie es wert sind.

© Aleshanee
Weltenwanderer
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