Rezension zu "Die Schwarzen Brüder" von Lisa Tetzner
„»Alles geht wieder vorbei. Auch die Angst und der Schmerz.«“ (S.86)
Zum Inhalt: Giorgio, so der Name des „Helden“ der Erzählung, führt beileibe kein leichtes oder gemütliches Leben als dreizehnjähriger Junge eines arbeitsamen Bergbauern im verschlafenen Sognogno. In seiner kleinen Welt, bestehend aus der Familie, seiner Nonna (Großmutter), seinen Tieren, den täglichen Aufgaben und seiner Freundin Anita ist er glücklich, fühlt sich geborgen und genießt seine kleinen Freiheiten, ebenso wie die liebgewonnene Routine am Hof.
Das Schicksal meint es jedoch nicht gut mit der Familie. Sowohl Witterung, als auch Fortuna scheinen sich verschworen zu haben und so stirbt in nur einem Jahr die Kuh am Hof, ebenso wie einige Ziegen und zu allem Überfluss verletzt sich die Mutter bei der Arbeit noch so schwer, dass sie einen Arzt braucht. All das überschreitet die ohnehin angespannten finanziellen Möglichkeiten am Hof. Zur selben Zeit stellt sich ein Mann in Sognogno ein, dessen Metier es ist, junge Burschen für die Arbeit als Kaminkehrergehilfen in Mailand zu kaufen. Ein Kauf mit Siegel und Vertrag, der es dem Vater ermöglicht die Mutter ärztlich versorgen zu lassen und nicht gänzlich in den Ruin zu schlittern. Schweren Herzens willigt er ein. Giorgio kommt auf abenteuerlichem Wege nach Mailand, wobei er unterwegs den jungen Alfredo trifft. Ein schicksalshaftes Treffen wie sich im Laufe der Geschichte noch zeigen wird.
Giorgio bemüht sich redlich allen Anforderungen seines Meisters, der ihn in Mailand dem Kinderhändler abgekauft hat, gerecht zu werden, doch dessen Frau und Sohn treiben es arg mit dem Jungen. Nach Monaten der Tortur und Hölle die Giorgio nur durch Glück, sein sonniges Gemüt, der Begegnung mit einem Arzt aus dem Tessin und v.a. durch die Unterstützung der »schwarzen Brüder« lebend übersteht, treibt es die Frau des Meisters dann doch zu bunt und Giorgio entschließt sich zusammen mit einigen Kaminfegerjungen aus dem Bund der »schwarzen Brüder« in die Heimat zu fliehen.
Die Flucht gestaltet sich alles andere als einfach, zumal einer der Burschen schwer verwundet den Weg antreten muss. Immer wieder steht es auf Messers Schneide, ob die Jungen den italienischen Schergen, die ihnen der Kinderhändler und dessen Kunden, die Kaminfegermeister, auf den Hals gehetzt haben, entkommen. Das Blatt wendet sich erst, als die Buben im Tessin auf dem Landhaus des väterlichen Arztes, der Giorgio schon in Mailand das Leben gerettet hatte, eintreffen.
Giorgio kann ein Versprechen, welches er seinem Freund Alfredo in Mailand am Sterbebett gegeben hat einlösen, erhält mit seinen Freunden die Möglichkeit aus seinem Leben etwas zu machen und ergreift diese Chance dankbar, ebenso wie seine wackeren Begleiter. Nach Jahren kehrt er mit seiner Frau wieder in das heimatliche Sognogno zurück und der Kreis den einst die Nonna bereits angedeutet hatte schließt sich.
Fazit: Die Erzählung aus der Feder von Lisa Tetzner wird von der Basler Zeitung zu recht als „Jugendbuchklassiker“ tituliert (Buchdeckeltext). Dementsprechend klassisch „jugendgerecht“ – in einem ausgsprochen positiven Sinne – ist auch der Schreibstil der Autorin, ebenso wie die Ausgestaltung der Spannungsbögen. Obwohl 492 Seiten umfassend, liest sich das Buch kurzweilig, wird nie langatmig oder fade, sondern steigert behutsam seine Anziehungskraft auf den Leser, bis es ihn nicht mehr loslässt, da er schon zu weit mit Giorgio und seinen treuen Freunden durch die idyllischen Lande des Tessin, die dunklen Gassen Mailands und die abgelegenen kleinen Bergdörfer auf dem Weg der »schwarzen Brüder« gewandert ist. Aufbauend auf einer wahren, gut recherchierten Geschichte malt Lisa Tetzner mit Worten wildromatische Landschaften, bevölkert von Charakteren, die ebenso schroff und unbeugsam sind wie ihre Umgebung, ein durchaus differenziertes Gesellschaftsbild, sowie ein ethisch-moralisches Leitbild, das Werte nicht mit erhobenem Zeigefinger vermittelt, sondern auch Fragestellungen rund um die Gültigkeit von Recht und Gerechtigkeit aufwirft (z.B. die Problematik der Rettung des Kinderhändlers durch Alfredo und Giorgio, der sich die Jungen im Laufe der Geschichte immer wieder stellen.) Man merkt dem Text durchaus das Alter an, aber in einer – aus meiner Sicht – sehr reizvollen Art, die den Grundtenor der Geschichte nur noch mehr unterstreicht. Ein ausgesprochen empfehlenswertes Buch, nicht nur für jugendliche Leser.