Cover des Buches Miss Terry (ISBN: 9783867542197)
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Rezension zu Miss Terry von Liza Cody

Auf gute Nachbarschaft!

von Gulan vor 7 Jahren

Kurzmeinung: Kluges Gesellschaftsdrama mit einer sehr aktuellen Botschaft, allerdings fehlt die Schärfe und der bitterböse Witz von "Lady Bag".

Rezension

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Gulanvor 7 Jahren
Aber Diane hatte es nicht eilig. „Sie sind doch Lehrerin, oder?“„An der Midford-Grundschule.“ Nita fühlte sich unbehaglich. Das ging ihr bei persönlichen Fragen immer so.
„Ja, man erzählt sich, dass Sie über die Ferien gar nichts zu tun haben. Tigs und Joe gehen auf ihre Schule, stimmt's? Diese lärmenden Blagen. Sie nennen Sie Miss Terry.“
„Tehri.“ Nita buchstabierte es für sie.
„War je klar, dass es so was Ausländisches sein muss. Aber nichts für ungut. Haben Sie nicht ein bisschen Angst, dass die Polizei auch mit Ihnen sprechen will?“
„Nein. Wieso denn?“
„Ach, was weiß ich, Immigrantenprobleme, Terrorismus.“ Ihre blassblauen Augen starrten Nita unschuldig an. (S. 9-10)

Nita Tehri ist eine junge Frau mit indischen Wurzeln. Nett, freundlich, hilfsbereit. Sie ist Lehrerin an einer Grundschule und lebt in einer Eigentumswohnung in der Guscott Road. Auch die Verballhornung ihres Namens in „Miss Terry“ erträgt sich stoisch. Doch als das Haus gegenüber saniert wird und ein Bauschutt-Container aufgestellt, landet auch allerhand privater Müll im Container. Eines Tages wird dort ein totes Neugeborenes mit dunklem Teint gefunden – und Nita gerät sofort unter Verdacht.

Die Nachbarn tuscheln: War sie bis vor einigen Monaten nicht noch viel dicker? Die Polizei ist dankbar für den Tipp und sofort setzt eine Vorverurteilung ein. Nita wird gemobbt, von der Schule suspendiert, ihr Wohnhaus Opfer eines Anschlags. Ein Nachbar wird aufdringlich. Nita wird in einen Strudel gezogen, aus dem selbst die Hilfe einiger loyaler Freunde und Bekannte sie kaum herausholen können. Und die größte Gefahr droht noch von anderer Seite: Nita hat sich mit ihrem Vater und Familie verworfen, hat sich den patriarchalischen, Frauen unterdrückenden Regeln widersetzt. Für ihren Vater ist sie gestorben und wenn er wüsste, wo sie sich aufhält, würde er dies womöglich auch in die Tat umsetzen.

Autorin Liza Cody, selbst zur Hälfte mit indischen Wurzeln, hat sich in diesem Roman wieder einer Außenseiterin zugewandt. Im letzten in Deutschland veröffentlichten Roman „Lady Bag“ war eine Obdachlose die Protagonistin, nun ist es die verschüchterte Nita Tehri, die zwar großen Mut aufgebracht hat, den Regeln ihres Kulturkreises zu entkommen, aber nun feststellen muss, dass sie deshalb noch lange nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Nita wünscht sich eigenes Glück und Selbstbestimmung (auch für ihren jungen Bruder und die zwangsverheiratete Schwester, mit denen sie heimlich Kontakt hält). Sie schwankt aber immer zwischen Angst und Verzagtheit oder Mut und Durchsetzungswille, dies auch bis zum Ende durchzufechten. Eine sehr authentische Figurenzeichnung, die mir gut gefallen hat.

Der Roman zeigt ein nicht unrealistisches Schema von Ressentiments, Xenophobie und racial profiling. Eine Parabel auf das Scheitern der multikulturellen Gesellschaft. Aber Cody sieht dies nicht nur einseitig. Indem sie die Rückständigkeit von Nitas Familie in Bezug auf Selbstbestimmung, vor allem der Frauen, und der Hang der Männer zur Gewalt herausstellt, macht sie auch die Einwanderer für dieses Scheitern mitverantwortlich.

Bestürzt saß Nita hinten in einem Bus und erkannte, dass sie sich vor sich selbst noch mehr fürchten musste als vor ihrem Vater. Ihr graute es vor diesem Selbst, dem es vor dem freien Willen graute und das Angst davor hatte, Entscheidungen selbst zu treffen. Sie schämte sich zutiefst für diese Nita, die nach wie vor jeden Morgen zur Schule gehen und die Schulordnung befolgen wollte. Dies war dasselbe erbärmliche Geschöpf, das beinahe den Rest ihres Lebens an der Seite des Mannes verbracht hätte, der sie vergewaltigt hatte – nur um die Anerkennung des Mannes zu erringen, der ihn zu ihr geschickt hatte. (S. 254-255)

Im Vergleich zum mit dem Deutschen Krimi Preis ausgezeichneten „Lady Bag“ hat es mir doch etwas an Widerspenstigkeit und bitterbösem Witz gefehlt. Dennoch ist „Miss Terry“ ein kluges Gesellschaftsdrama am Rande des Krimispektrums mit einer sehr aktuellen Botschaft.

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