Cover des Buches Der böse Mensch (ISBN: 9783832198794)
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Rezension zu Der böse Mensch von Lorenz Just

Für anspruchsvolle Leser ohne Angst vor der Düsternis

von Jetztkochtsie vor 6 Jahren

Rezension

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Jetztkochtsievor 6 Jahren
Ich schätze ja Erzählungen und Kurzgeschichten sehr. Ich mag es vom Autor nur einen kurzen Weg begleitet zu werden, einen Impuls zu erhalten, eine Momentaufnahme und mir zu Vergangenheit und Zukunft der Geschichte eigene Gedanken machen zu können. Immer wieder finden daher Bände mit Erzählungen, Essays und Kurzgeschichten den Weg auf meinen Lesestapel.

Lorenz Justs Buch „Der böse Mensch„, erschienen im Dumont Buchverlag, hat dort nicht sehr lange gelegen, bis ich es las. Die knapp 200 Seiten hat man auch flott durch, die Geschichten bewegen, berühren, schockieren, inspirieren, je nachdem, wie man sie auf sich wirken lassen möchte. Hier und da blieb ich auch als Leserin etwas ratlos zurück und fühlte mich in einem literarischen Experiment gefangen, nicht sicher, was der Autor vom Leser will oder ob es ihm einfach nur egal war, was der Leser bei diesem Satz oder dieser Schilderung nun denken würde.

Der Einband ist grafisch sehr fokussiert gestaltet, die Erzählungen hingegen sind offen und weit und lassen sehr viel Raum sie selbst einzusortieren und zu interpretieren. Das mag ich. Ich lese gerne etwas experimenteller und eine Geschichte muß für mich nicht klassisch aufgebaut sein. Im Gegenteil ich mag solche abgefahrenen Dinge, wie zum Beispiel „Herr Naumanns Notizen zur Familiengeschichte“, eine Auflistung familiärer Details, die gemeinsam ein großes Ganzes bilden. Hier und da fühlte ich mich auch an Dorothee Elmigers Schlafgänger erinnert, nicht nur, weil sie auf dem Klappentext erwähnt wird, das mich allerdings damals nicht so begeistern konnte.

Der böse Mensch hingegen löst in mir durch die Momentaufnahmen der Geschichten, durch die unverfälschten und klaren Blickwinkel einen ziemlichen Sog aus, immer noch ein Erzählung mehr, noch eine Seite weiter wollte ich lesen und dem theoretischen Gefühl des Bösen auf die Schliche kommen. Das Böse als Besonderheit, als Alltag und als Zwischenbilanz, hat mich in diesem Buch sehr berührt.

Mir ist klar, dass diese Art der literarischen Unterhaltung nicht jeden Anspricht und auch nur eine sehr ausgewählte Leserschaft Freude an dieser Art von sperrigen Texten hat. Ich fühlte mich wirklich irgendwie abgeholt, mitgenommen und begleitet. Jede einzelne Erzählung löste in mir weitere Gedankengänge und Ideen aus und war präzise und klar formuliert. Mit einer sehr großen Liebe zu poetischen Worten und einer ganz eigenen Sprache.

Meine Empfehlung gilt daher nicht für den Leser schöner und spannender Geschichten, aber ganz klar für den Leser, der gerne auch mal mit einem Text arbeitet, an ihm herumdenkt, ihn im Mund dreht und wendet und dann auf der Zunge zergehen läßt und vielleicht sogar die Erzählungen schätzt, die keinen süßen, sondern einen bitteren Geschmack im Mund hinterlassen.

Für so einen Leser ist dieses Buch hier ganz großes Kino… alle anderen werden vermutlich nur ein Schulterzucken dafür übrig haben… Leider.
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