Cover des Buches Der erste Tag vom Rest meines Lebens (ISBN: 9783866123960)
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Rezension zu Der erste Tag vom Rest meines Lebens von Lorenzo Marone

Die Versuchung, glücklich zu sein

von Dr_M vor 9 Jahren

Rezension

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Dr_Mvor 9 Jahren
So lautet wohl der Originaltitel dieses ungewöhnlichen Romans. Sein deutscher Titel lässt vermuten, dass Cesare Annunziata mit seinen 77 Jahren irgendeine tiefschürfende Erkenntnis gewonnen hat und nun sein Leben entsprechend umkrempeln würde. Aber so ist es nicht. Vielmehr bringt es das Alter mit sich, dass man zurückblickt und sich von vielen Verstrickungen befreien kann, in die man unerfahren und meistens langsam und ahnungslos geraten ist. Nun endlich gönnt sich Cesare auch mal "die Extravaganz, auf seine Instinkte zu hören". Und dabei ändert sich dann vielleicht doch so einiges.

Cesare wohnt alleine. Seine Frau, die er schon lange nicht mehr liebte, verstarb vor einigen Jahren. Seine Kontakte beschränken sich auf seinen schwulen Sohn, seine unglücklich verheiratete Tochter, deren Sohn und zwei schrullige Nachbarn in seinem Alter. Und natürlich auf Rossana, zu der schon eine Ewigkeit geht und blaue Pillen schluckt, um sie bezahlt lieben zu dürfen. Während Cesare über seine Tage erzählt, lässt er seine Zuhörer auch an Gedanken teilhaben, die ihm oft kommen, wenn er ganz nebenbei immer wieder an sein vergangenes Leben zurückdenkt. Genau dabei überrascht er. Denn abgesehen von seiner sympathischen Selbstironie und seiner oft ins Sarkastische gehenden Beschreibung des Alltags fesselt vor allem seine unbedingte Ehrlichkeit. Wozu in seinem Alter noch etwas verklären oder sich etwas vormachen? An dieser Stelle fasst er den Leser unausweichlich. Denn das, was er da erzählt, kennen mit Sicherheit auch viel jüngere Menschen. Dass einem anderen Menschen etwas passiert ist, was man vieleicht gerade selbst erlebt, hat etwas von einer Offenbarung, weil man nun auch den Ausgang der Geschichte kennenlernt.

"Wenn du Fehler säst, kannst du keine großartige Ernte erwarten", liest man. Oder: "Du lebst dein Leben in dem Glauben, dass eines Tages das geschieht, worauf du hoffst, um dann festzustellen, dass die Realität viel weniger romantisch ist, als du dachtest. Es stimmt, manchmal klopfen die Träume an deine Tür, aber nur wenn du dir die Mühe gemacht hast, sie einzuladen. Sonst kannst du sicher sein, dass du den Abend alleine verbringst."

Cesare bezieht das auf sich, weil er es nicht vermochte, die Frauen seiner Träume in sein Leben zu führen und stattdessen in einer wenig leidenschaftlichen Beziehung verharrte. Indem er seine Zuhörer an seinen Gedanken teilhaben lässt, stellen sich ganz von alleine und völlig unaufdringlich ganz ähnliche Fragen an sie selbst ein. Der Mensch neigt zu Vergleichen. Und wenn einer so ehrlich sein Leben erzählt, dann kann man dieser Neigung nur noch schwer ausweichen.

Es verwundert nicht, dass dieser Roman in Italien Begeisterung hervorrief. Seinem im Verhältnis zu Cesare sehr jungen Autor kann man nur Bewunderung für diesen Erstling zollen. Cesare könnte sein Vater sein. Um so erstaunlicher ist es, dass Marone sich völlig glaubhaft in den Kopf und den Alltag eines um die Lebenserfahrung einer ganzen Generation reicheren Mannes hineindenken konnte. Er schrieb ein wunderbares Buch, das natürlich auch eine Handlung besitzt, die dem Ganzen eine nachhaltige Wirkung verleiht. Denn sie enthält auch einen tragischen Gegenentwurf zu Cesares Leben, mit dem er sich plötzlich durch eine neue Nachbarin konfrontiert sieht. Nicht umsonst ist dieses Buch den "zerbrechlichen Seelen gewidmet, welche lieben, ohne sich selbst zu lieben".
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