"Erna war mein Werk, der Beweis gegen alle Ungläubigen, gegen all die Schamanen mit ihren Laboratorien."
E.E. - Erna Eltzner - sieht beim Mittagessen plötzlich einen Geist und sinkt daraufhin in tiefe Ohnmacht. Der Mutter ist schnell klar, dass Erna die Gabe eines Mediums hat. Schließlich sind ähnliche Fähigkeiten schon öfter in der Familie aufgetaucht. So wird nicht nur der Doktor der Familie herbeigerufen, sondern auch ein über die Grenzen Breslaus hinaus bekannter Spiritist. Schnell ist man sich einig, dass das junge Mädchen ihre Fähigkeiten bei einer Seance unter Beweis stellen soll. So kommt auch der junge Arthur dazu, der in Erna ein Objekt für seine psychologischen Studien für die Dissertation sieht. Ernas Geschwister sind die Fähigkeiten des Mädchens entweder unheimlich oder aber sie versuchen sie wie im Falle der Zwillinge mit Magie in andere Bahnen zu lenken. Nur Erna selbst kommt dabei kaum zu Wort. Wie sie sich mit der Hellsicht fühlt, weiß der Leser allein.
Der Literaturnobelpreisträgerin Tokarczuk gelingt es mit ihrem neuen Roman, die Zeit um 1900 einzufangen, zu der Okkultismus und Wissenschaft sich überlagerte und die Psyche gleichsam Gegenstand beider Disziplinen gewesen ist. In "E.E." finden sich daher unzählige Erklärungsansätze für Ernas Fähigkeiten. Mal gehen sie auf die eine, mal die andere Grundlage zurück: Hysterie, Vererbung, Astralkörper. Der Leser selbst kann sich am Ende selbst entscheiden, was er von Ernas Geschichte halten mag, oder ob er alles als faulen Zauber abtut. Dass Tokarczuk diese Spannung nicht auflöst, kommt dem Roman zugute. Gelingt es ihr auf diese Weise, die Stimmung der Zeit dem Leser erfahrbar zu machen.
Mehr aber noch ist Tokarczuk in gewisser Weise auch ein feministisches Buch. Sie zeigt auf, wie schnell Frauen zum Forschungs- und Sensationsobjekt degradiert werden. Wie ihre Ängste, Bedürfnisse und Sorgen nur dann interessieren, wenn sie der Wissenschaft oder den Studien der Okkultisten dienen. Wirklich interessiert an Erna ist niemand. So dürfte es auch vielen real existierenden Persönlichkeiten dieser Zeit ergangen sein. Darauf lässt auch die Figur Therese Frommers, die Schwester des Spiritisten, schließen. Sie verschweigt, dass sie möglicherweise alte Fähigkeiten wiedererhält. Ihre Trauer, die bis hin zur Depression und zum Todeswunsch führt, wird von niemandem ernst genommen. Ebenso wenig wie Episoden aus ihrer Jugend.
"E.E:" ist also nicht nur ein Zeitportrait des frühen 20. Jahrhunderts, sondern auch eine spannende Gesellschaftsstudie der gehobenen Familien im Breslau zehn Jahre vor dem Ersten Weltkrieg.