Es ist beklemmend...
es ist zutiefst deprimierend...
es ist grauenhaft drastisch...
es ist ekelerregend detailreich...
es ist faszinierend wortgewaltig....
es ist...
...ein beeindruckendes Buch, das Louis-Ferdinand Céline da mit seiner "Reise ans Ende der Nacht" vorgelegt hat.
Mit einer überbordend fabulierenden Sprache und einem lakonischen wie unkonventionellen Tonfall erzählt Céline darin das Leben seines Protagonisten Ferdinand in der Zeit des Ersten Weltkriegs und der Zwischenkriegszeit. Die Geschichte beginnt mit dem jungen, patriotisch-begeisterten Franzosen, der sich überhastet und unüberlegt als Freiwilliger für den Krieg meldet und der kein Kriegsgräuel auslässt. Allzu detailreich fliegen da die Kameraden in die Luft, kriecht den Soldaten die Angst in jede Pore, so dass sie weder tags noch nachts zu anderen Gedanken imstande sind als dem, irgendwie abzuhauen.
"In diesem Beruf, dem, sich umbringen zu lassen, darf man nicht zimperlich sein, da muss man so tun, als ob das Leben weiter ginge, und diese Lüge, die ist das Härteste." (S. 46)
Auch der Leser darf nicht zimperlich sein, denn die Kriegsschilderungen sind so beklemmend scharf gezeichnet, dass mehrfach der Drang aufkommt, das Buch wegzulegen und auch nicht wieder aufzuschlagen.
Doch Ferdinand kommt davon. Er versucht dem Krieg zu entkommen, in dem er sich in die französischen Kolonien absetzt, wo ihn jedoch neues Elend, neue Einsamkeit und neue Existenzängste nur weiter mürbe machen. Nach einem erfolglosen Abstecher in die Vereinigten Staaten kehrt er schließlich zurück ins triste Nachkriegs-Frankfreich und versucht sich als niedergelassener Arzt. Doch auch hier begleiten ihn Tod, Missgunst und Misserfolg. Mit stoischer Lakonie beschreibt er sein Leben im Pariser Vorort, die Unfähigkeit zu leben. Einen Sinn zu sehen. Fertig zu werden. Mit irgendetwas, in irgendeinem Sinne.
"Übrigens ähneln sich nach ein paar Jahren alle Versager. In den Massengräbern des Scheiterns gilt ein Doktortitel so viel wie der Prix de Rome. Höchstens, dass man nicht genau zur selben Zeit in den Bus steigt. Mehr nicht." (S. 367)
Und wohin er auch geht, stets trifft er auf seinen Bekannten Robinson, den er zwar ebenfalls als niedergeschlagenen Erfolglosen zeichnet, der aber doch ein Gegenentwurf zum Ich-Erzähler Ferdinand zu sein scheint - und der ihm zunehmend zur Last fällt. Erst recht, als eine seiner Gaunereien schrecklich schief geht und die viel beschworene Nacht um die beiden nur noch tiefer wird.
"Die große Anstrengung im Dasein rührt vielleicht insgesamt von dieser enormen Mühe her, die wir zwanzig, viertig, noch mehr Jahre lang aufwenden, um vernünftig und nicht einfach nur schlicht und zutiefst wir selber zu sein, also schmutzig, widerlich, absurd." (S. 544)
Es ist ein niederschmetterndes wie genau beobachtetes Bild, das Céline in seinem Erfolgsroman zeichnet. Es ist ein Geniestreich, der mit seinem Sprachspiel trotz all der deprimierenden Geschichten fasziniert und mitreißt. Mit gespitztem Bleistift möchte man jede zweite Seite mitschreiben, was ihm da so einfällt, was ihm so auffällt und vor allem, wie er es ausdrückt.
"Die Sonne, die allzu viel durchdringen muss, hat für die Straße nur noch ein herbstliches Licht voller Sehnsucht und Wolken übrig", schreibt er da mal poetisch (S. 363). Oder er formuliert einen Gedanken, den wohl jeder mal so ähnlich, aber kaum einer so schön hatte, wie folgt: "Überhaupt nicht lustig war das, und dann hat's mich nicht mehr losgelassen. So ein Gehirn, das ist der schlimmste Tyrann, den es gibt." (S. 319)
Und es ist ein schier unbegreifliches Meisterstück vom Übersetzer Hinrich Schmidt-Henkel, der diese Sprachgewalt mit scheinbarer Leichtigkeit ins Deutsche übertragen hat. Chapeau und vielen Dank dafür.
Dennoch bleibt ein fader Beigeschmack. Denn eben jener Louis-Ferdinand Céline fällt nach seinem großen literarischen Wurf in den 1930ern vor allem durch ekelhafte antisemitische Pamphlete und Hetztiraden auf, die ihn zurecht diskreditierten. Wer das während der Lektüre ausblendet, wird den Autoren wie seinen Protagonisten kaum sympathischer finden, aber dennoch vor diesem Roman den Hut ziehen.