Louis-Philippe Dalembert

 4 Sterne bei 5 Bewertungen
Autor*in von Die blaue Mauer, Die Götter reisen in der Nacht und weiteren Büchern.

Lebenslauf

Louis-Philippe Dalembert wurde in Port-au-Prince, Haiti, geboren. Nach einer journalistischen Ausbildung und einem Literaturstudium in Haiti setzte er 1986 sein Studium in Paris fort und schloss an der Sorbonne ab. Nach Stationen in Nancy, Rom, Jerusalem und Kinshasa lebt Dalembert heute in Paris und Port-au-Prince. Im deutschsprachigen Raum war er zweimal als Gastprofessor tätig, an der Universität Bern 2015 und in Berlin an der FU 2018/2019. Seit 1993 veröffentlichte er Kurzgeschichten, Gedichte, Essays und Romane. Die jüngste, »Avant que les ombres s'effacent«, die im März 2017 von Sabine Wespieser éditeur veröffentlicht wurde, gewann den Preis Orange du Livre und den Preis France Bleu/Page des libraires. »Die blaue Mauer« war nominiert für den Prix Goncourt 2019.

Quelle: Verlag / vlb

Alle Bücher von Louis-Philippe Dalembert

Cover des Buches Die blaue Mauer (ISBN: 9783312012084)

Die blaue Mauer

 (5)
Erschienen am 15.03.2021
Cover des Buches Die Götter reisen in der Nacht (ISBN: 9783940435194)

Die Götter reisen in der Nacht

 (0)
Erschienen am 15.10.2016
Cover des Buches Jenseits der See (ISBN: 9783940435156)

Jenseits der See

 (0)
Erschienen am 20.05.2014

Neue Rezensionen zu Louis-Philippe Dalembert

Cover des Buches Die blaue Mauer (ISBN: 9783312012084)
Gwhynwhyfars avatar

Rezension zu "Die blaue Mauer" von Louis-Philippe Dalembert

Ein blutiger Weg bis zur Küste in der Hand von Schlepperbanden, eine grausame Überfahrt im Boot nach Europa
Gwhynwhyfarvor 3 Jahren

Der Anfang: «Als der Kerkermeister das Lager betrat, brach über Sabratha gerade die Nacht herein. ... Als die Frauen hörten, wie der Schlüssel ins Schloss gesteckt wurde, rückten sie trotz der Schwüle noch enger zusammen. Als wollten sie sich vor einer Gefahr schützen, die nur von außen kommen konnte.»


Ein Roman, der unter die Haut geht, den man nicht aufhören mag zu lesen, obwohl dies alles grusliger ist als jeder Horrorfilm – denn es ist Realität. Ein Buch, das die Ursachen von Flucht und Migration erklärt, den blutigen Weg bis zur Küste in der Hand von Schlepperbanden, eine grausame Überfahrt im Boot nach Europa - die lockende Zukunft, aber nur für die Menschen, die es überhaupt bis hierher geschafft haben. Ein Roman, der bewegt. Der Überfahrt liegt ein wahres Ereignis zugrunde, das den Autoren zu diesem Roman inspirierte: Ein tunesischer Fischtrawler, mit mehr als 700 Flüchtlingen aus verschiedenen vorderasiatischen und afrikanischen Ländern beladen, geriet in schlechtes Wetter, als er am 17. Juli 2014 von Libyen nach Italien übersetzte und auf Grund der Bedingungen sich ein Massaker an Bord ereignete. Der dänische Öltanker Torm Lotte rette den Fischtrawler aus Seenot, und was die italienische Küstenwache unter Deck erblickte, erschütterte auch hartgesottene Polizisten. Aber das ist nur ein Teil von diesem Roman, alles, was vorher an Land passiert, ist auch nicht besser. 


«Die Nigerianerin brauchte fast ein Jahr, um die richtigen Kontakte herzustellen. Sie wollte schliesslich keinen Gaunern auf den Leim gehen. Von denen es im Land genug gab. Jeder suchte für sich irgendwie einen Ausweg, also einen Dummen, den man schröpfen konnte.»


Dima aus Syrien, Aleppo, Chochana aus Nigeria und Semhar aus Eritrea – drei grundverschiedene Frauen, die aber eins gemeinsam haben: Ihre Lebensbedingungen sind katastrophal und sie entschließen sich nach Europa zu gehen, um ein besseres Leben zu finden – für sich (und ihre Familie). Nicht jeder, der mit ihnen zusammen aufbricht, wird ankommen. Chochana ist eine Jüdin aus Nigeria – eigentlich sollte sie Jura studieren. Eine gläubige, stolze Familie, der es gut ging, bis Einschnitte in die Region sie in Armut stürzte, jedes Jahr immer weiter. Perspektivlosigkeit für junge Menschen. Chochana macht sich einer Gruppe von fünf jungen Menschen aus dem Dorf auf dem Weg, ihr Bruder ist auch dabei. Die Christin Semhar hat den erzwungenen Militärdienst in Eritrea satt, sie flieht mit einer Freundin und deren Freund, der die Flucht organisiert. Die wohlhabende Muslima Dima ist mit ihrer Familie aus dem syrischen Aleppo geflohen, sie sind Bürgerkriegsflüchtlinge. Ihre Einstellung gegenüber den schwarzen «schnudsch» lässt tief blicken. Sie ist privilegiert und hatte gegenüber den beiden anderen Frauen fast eine angenehme Anreise. Wer gut zahlt, reist gut – auch auf dem Boot, an Deck die teuren Plätze, eingepfercht mit geschlossener Luke die «billigen» Plätze unter Deck. Die Perspektive dieser drei Frauen wechselt, aber ebenso pendelt der Plot von dem Jetzt in die Vergangenheit, in die Erinnerung der Lebensläufe. 


«Hör mal, jeder muss sehen, wo er bleibt. Und du, du willst, dass diese Horde snudsch an Deck stürmt, mitten unter uns landet und unseren Töchtern an die Kehle geht? Ich nicht. Du und deine miesen großen Ideen!»


Louis-Philippe Dalembert verleiht den Flüchtlingen durch ihre Lebensläufe Gesichter und Stimmen – Menschen, die eine Tortur hinter sich haben, bevor sie das Boot besteigen und eine Überfahrt, bei der jedem bewusst ist, dass er vielleicht nicht überlebt. Diese Menschen vertrauen den Schleppern, die ihnen aber das Schlimmste antun, was man einem Menschen antun kann. Der Roman ist letztendlich auch eine Anklage an uns, an die westlichen Staaten: Warum lassen wir das zu? Ich würde sogar noch weiter gehen: Warum lassen wir diese Ausbeutung in Afrika zu und warum zündeln wir, fachen Kriege an? Ein Höllenritt bis zur Küste, beim Teufel persönlich in langer Gefangenschaft und zum Schluss eine Höllenfahrt auf dem Meer. So hatte sich niemand seine Flucht ausgemalt. Doch so sieht die Realität aus. Auch realistisch dargestellt ist die Darstellung der Beziehung zwischen Arabern und Schwarzen. Wie verhält sich der Mensch in Ausnahmesituationen? Was kann er alles einstecken? Ich finde, jeder sollte dieses Buch lesen, denn es verdeutlicht, was Menschen durchmachen, bevor sie Europa erreichen. Man hört immer wieder von Flüchtlingen, die psychische Probleme haben, sagte mir kürzlich jemand. Warum sind so viele gestört?, fragte er mich. Ich habe geantwortet, dass ich mich eher frage, warum so viele von ihnen gesund sind – zumindest auf den ersten Blick. Es wäre ein zweites Buch wert, darüber zu schreiben, was nach der Ankunft in Europa passiert – denn das Martyrium hat mit der Ankunft noch lange kein Ende.


Louis-Philippe Dalembert wurde in Port-au-Prince, Haiti, geboren. Nach einer journalistischen Ausbildung und einem Literaturstudium in Haiti setzte er 1986 sein Studium in Paris fort und schloss an der Sorbonne ab. Nach Stationen in Nancy, Rom, Jerusalem und Kinshasa lebt Dalembert heute in Paris und Port-au-Prince. Im deutschsprachigen Raum war er zweimal als Gastprofessor tätig, an der Universität Bern 2015 und in Berlin an der FU 2018/2019. Seit 1993 veröffentlichte er Kurzgeschichten, Gedichte, Essays und Romane. Die jüngste, »Avant que les ombres s’effacent«, die im März 2017 von Sabine Wespieser éditeur veröffentlicht wurde, gewann den Preis Orange du Livre und den Preis France Bleu/Page des libraires. »Die blaue Mauer« war nominiert für den Prix Goncourt 2019.

https://literaturblog-sabine-ibing.blogspot.com/p/die-blaue-mauer-von-louis-philippe.html

Cover des Buches Die blaue Mauer (ISBN: 9783312012084)
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Rezension zu "Die blaue Mauer" von Louis-Philippe Dalembert

Eine Mauer namens Mittelmeer
Buecherschmausvor 3 Jahren

Drei Frauen auf der Flucht in ein neues, besseres Leben. Ihre Herkunft und ihre Leben sind so unterschiedlich, aber sie eint die Hoffnung auf einen neuen Start in Europa. Auf einem illegalen Flüchtlingsboot treffen ihre Schicksale aufeinander. Louis-Philippe Dalembert, französischsprachiger Haitianer, nimmt die wahre Geschichte über die im Juli 2014 vom dänischen Öltanker Torm Lotte vor Lampedusa fast 400 geretteten Migranten zum Ausgangspunkt seiner Geschichte in Mur mediterranée, dt. etwas missverständlich Die blaue Mauer betitelt.

Dass bei der Überfahrt besagten Flüchtlingsbootes von Libyen nach Italien zwischen 150 und 200 Menschen starben – ertranken, im Frachtraum erstickten, von den Schleppern bei einem Aufstand erstochen, erschlagen oder über Bord geworfen wurden –, rückt das Thema Migration übers Mittelmeer auf beklemmende, erschütternde Weise in den Fokus.

Chochana, eine junge Nigerianerin, verlässt mit ihrem Bruder und einigen Freunden ihr Heimatland, weil eine schreckliche Dürre die Lebensgrundlagen im Norden des Landes quasi vernichtet hat. Dazu kommen religiöse Verfolgungen etwa durch Boko Haram, da Chochana Jüdin ist. Sie träumt von einem Leben im „gelobten Land“ Israel, sieht aber nur die Flucht mit Hilfe von Schlepperorganisationen, da Israel auch gegenüber Glaubensgenossen ähnlich wenig aufnahmebereit ist wie die westlichen EU-Staaten. Ihre Flucht geht über Abuja durch die Sahara nach Sabratha in Libyen, wo sie monatelang in einer Lagerhalle unter schrecklichen Bedingungen gefangen gehalten, vergewaltigt, misshandelt und ausgeplündert wird.

Hier trifft sie auf die Eritreerin Semhar. Die ist Christin und flieht vor der Diktatur Isayas Afewerkis, für die sie jahrelang Militärdienst geleistet hat und nun keine Zukunft mehr für sich sieht. Die Brutalität, mit der die Frauen in den libyschen Lagern konfrontiert sind, wurde zwar schon mehrfach, aber doch viel zu wenig in den Medien thematisiert, macht sprachlos. Die Menschen werden wie Ware behandelt, der Preis für ihre Flucht stetig nach oben getrieben.

Etwas besser geht es den zahlungskräftigen „Kunden“ der Schlepperorganisation. Die Familie der muslimischen Syrerin Dima, die vor dem sich ständig zuspitzenden Krieg in ihrer Heimat flieht, kann zusammenbleiben, lebt bis zur Abreise in einem Hotel und bekommt auch an Bord des Flüchtlingsschiffs die besseren Deckplätze, während die Afrikaner:innen im Frachtraum eingeschlossen werden. Ein heftiger Sturm macht allerdings auch hier die Überfahrt zur Hölle.

Die Luft im Frachtraum wird knapp, da sich die Überfahrt über die angekündigten sechs Stunden weit hinauszieht, die „Frachtler“ protestieren, erheben sich. Da sie im Gegensatz zu den Schleppern nicht bewaffnet sind, scheitert der Aufstand natürlich und kostet viele Todesopfer. Ein Leck im Frachtraum erfordert schließlich das Eingreifen des dänischen Öltankers.

Es ist ein Verdienst Louis-Philippe Dalemberts, dass er das Thema der opferreichen Flucht über das Mittelmeer und die dahinter steckenden Schicksale thematisiert. Leider ist ihm das literarisch nicht wirklich überzeugend gelungen, obwohl das Buch 2019 für den französischen Prix Goncourt nominiert war. Die Charakterisierung der Frauen bleibt sehr stereotyp. Besonders die Syrerin Dima, die mit menschenverachtendem Hass auf die in ihren Augen minderwertigen Afrikaner:innen schaut, ist recht plakativ gestaltet. Auch sprachlich überzeugt der Text nicht. Der geradezu zwanghafte Gebrauch alternativer Nomen (sie, die Nigerianerin, die junge Frau, die Jüdin, die Freundin usw.) klingt eher nach Schulaufsatz als nach literarischem Text. Was zusätzlich sehr ärgerlich ist, ist die wirklich schlampige Korrektoratsarbeit. Ich habe wirklich schon lange keinen Text mit derart vielen Druckfehlern gelesen. Schade, denn das Thema hätte einen sorgfältigeren Umgang damit verdient.

Cover des Buches Die blaue Mauer (ISBN: 9783312012084)
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Rezension zu "Die blaue Mauer" von Louis-Philippe Dalembert

Louis-Philippe Dalembert – Die blaue Mauer
RenaMvor 3 Jahren

Es ist ein bekanntes Phänomen, dass Katastrophen oder Gräueltaten großen Ausmaßes für diejenigen, die davon nicht betroffen sind, nur sehr abstrakt bleiben, wenn man die schieren Opferzahlen nennt. Sobald jedoch Einzelschicksale herausgegriffen, individuelle Geschichten erzählt werden, dann sind die Zuhörer, die Leser entsetzt, schockiert, geraten in Wut oder trauern.

Diese Vorgehensweise, den wohlbehüteten Europäern die menschenverachtenden Vorgänge im Zusammenhang mit der Flucht über das Mittelmeer nach Europa vor Augen zu führen, funktioniert auch in diesem Roman.

Der Autor Louis-Philippe Dalembert wurde in Haiti geboren, er lebt heute in Paris und Port-au-Prince. Seine Geschichten und Romane wurden mit Preisen ausgezeichnet, auch „Die blaue Mauer“ war für den Prix Goncourt 2019 nominiert.

„Die blaue Mauer“ – Zu Beginn habe ich mich nach dem Sinn des Titels gefragt. Doch der erschließt sich sehr schnell und hätte prägnanter kaum gewählt werden können. Diese blaue Mauer, das ist nichts anderes als das Mittelmeer, das ist die Mauer zwischen der EU und den Flüchtenden, die aus Afrika kommen, weil alles besser ist als das Leben, das sie zurücklassen. Und die EU, so will es immer wieder scheinen, ist froh um diese Mauer.

Dalembert greift drei Schicksale heraus aus den Tausenden, die jedes Jahr unter Gefahr für Leib und Leben, gegen Zahlung hoher Summen und trotz der unmenschlichen Grausamkeiten der Schlepper diese Fluchtroute wählen. Chochana ist eine junge Frau aus Nigeria, die vor Hunger und Armut flieht und zusammen mit ihrem jüngeren Bruder und einer Freundin diese Reise ins Ungewisse antritt. Semhar, eine Ex-Soldatin aus Eritrea, flieht aus ihrer Heimat, weil sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen möchte und sich nicht ein Leben lang in den Militärdienst zwingen lassen will. Und schließlich Dima, die vor dem Krieg und seinen Gefahren aus Syrien flieht, zusammen mit ihrem Mann und ihren zwei kleinen Töchtern.

In getrennten Kapiteln schildert Dalembert die Erlebnisse der drei Frauen auf ihrer Flucht, beschönigt nichts, zeigt die Grausamkeiten, die vor allem Frauen erleiden, die sich in die Hände skrupelloser Schlepper begeben. Es sind unvorstellbare, barbarische Vorgänge, denen sie ausgesetzt sind. Und dennoch bewahren sie sich ihre Menschlichkeit. Chochana und Semhar begegnen sich in einer Halle, in der die Flüchtenden wie Sklaven gehalten werden, zum Arbeiten vermietet werden oder den Männern zur Verfügung stehen müssen. Sie klammern sich aneinander und gemeinsam gelangen sie schließlich auf das Boot, dass sie nach Europa bringen soll.

Hier begegnen sie Dima, die als Araberin heftige Vorurteile gegenüber den Schwarzafrikanern hat und diese auch nicht vor ihnen verbirgt. Doch trotz allem werden die drei Frauen sich gegenseitig helfen und gemeinsam ans Ziel kommen.

Zwischen die Kapitel über die drei Frauen sind die Ereignisse auf dem Schiff eingeschoben, die entsetzlichen Zustände, die gefährliche Überfahrt und schließlich die Rettung. Louis-Philippe Dalembert basiert seinen Roman auf den tatsächlichen Ereignissen um ein im Jahr 2014 havariertes Boot mit Flüchtlingen, die von einem dänischen Tanker gerettet wurden.

Die Lektüre dieses Romans macht wütend, wütend auf diejenigen Politiker, die diesen Flüchtenden die Hilfe verweigern, diejenigen Entscheider, die diese „blaue Mauer“ gerne unüberwindbar machen würden.

Deswegen ist es wichtig, dieses Buch zu lesen. Stilistisch lässt es zwar etwas zu wünschen übrig, die Perspektivwechsel gelingen nicht immer und die Übersetzung erscheint mir recht holprig, dazu kommen einige Druckfehler.  Dennoch muss man diesen Roman unbedingt empfehlen.

Louis-Philippe Dalembert – Die blaue Mauer
aus dem Französischen von Christine Ammann
Nagel & Kimche, März 2021
 Gebundene Ausgabe, 319 Seiten, 24,00 €   

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