Louise DeSalvo

 4,4 Sterne bei 5 Bewertungen
Autor*in von Virginia Woolf.

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Cover des Buches Virginia Woolf (ISBN: 9783888971495)

Virginia Woolf

(4)
Erschienen am 01.06.1995

Neue Rezensionen zu Louise DeSalvo

Cover des Buches Virginia Woolf (ISBN: 9783596105663)
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Rezension zu "Virginia Woolf" von Louise DeSalvo

yvonne_fraunhoffer
Ein interessante Buch über den Zusammenhang von Trauma und Kunst

Wenn wir an Virginia Woolf denken, kommen uns verschiedene Schlagwörter in den Sinn. Gedichte, Bloomsbury, vielleicht sogar Selbstmord. Woran vermutlich die wenigsten denken ist, dass Woolf in ihrer Kindheit und Jugend von ihren Halbbrüdern sexuell missbraucht wurde. Die meisten Biografien erwähnen es nur beiläufig oder gar nicht.

Doch Louise DeSalvo hat dieser Zensur mit ihrem Buch "Virginia Woolf – Die Auswirkungen sexuellen Mißbrauchs [sic] auf ihr Leben und Werk" (engl. Originaltitel: The Impact of Childhood Sexual Abuse on Her Life and Work) ein Ende gesetzt. Sie deckt auf, wieviele Anzeichen und Hinweise es in Woolfs Leben und Werk darauf gegeben hat, dass sie und ihre Schwestern Opfer von Inzest waren.

Dabei geht sie chronologisch vor und beginnt mit den ersten Aufzeichnungen Virginia Stephens. Dass DeSalvo sich von kindlichen Tagebucheinträgen über die ersten Kurzgeschichten bis hin zu Woolfs in ihren letzten Lebensjahren verfassten Memoiren durcharbeitet, wirkt sich positiv auf die Glaubwürdigkeit der geschilderten Übergriffe aus. Wer hier daran zweifelt, was Virginia und ihre Schwestern erlebt haben, der zweifelt nicht an DeSalvo, sondern glaubt den Opfern von sexueller Gewalt nicht. Die Autorin beschönigt oder dramatisiert nichts, sondern legt lediglich offen, was schon viele Biograf:innen vor ihr hätten bemerken können. Mir fiel es jedenfalls nicht schwer, dem Geschriebenen zu folgen und es als Wahrheit anzunehmen.

DeSalvo kritisiert an einigen Stellen ihre Vorgänger:innen, die Woolf eine wilde Fantasie und sogar den Wunsch, vergewaltigt worden zu sein, andichteten. Ebenso wie die Autorin finde ich es merkwürdig, dass die Fakten bisher nicht als wahr angenommen, sondern vertuscht oder verdreht wurden.
Allerdings muss auch betont werden, dass das vorliegende Buch aus den 1990er Jahren stammt und die bekanntesten Biografien der britischen Schriftstellerin mehrere Jahrzehnte zurückliegen.

Das Buch ist in drei Oberkapitel eingeteilt. Auf „Ein Familien-Modell“ folgen „Kindheit“ und „Jugendzeit“. Es ist gut strukturiert und dabei spannend zu lesen. Anfangs hatte ich Angst, dass es zu wissenschaftlich geschrieben sein würde, aber die Autorin hat es immer wieder geschafft, mich mit Passagen aus mir vorher unbekannten Texten Woolfs in ihren Bann zu ziehen.

Beispielsweise wusste ich vor der Lektüre nicht, dass die junge Virginia bereits eigene Kurzgeschichten für die Zeitung, die die Stephen-Kinder für ihre Eltern herausbrachten, geschrieben hat. In diesen Geschichten geht es sehr oft um Gewässer wie das Meer, Stürme oder tiefe Seen. Ein Symbol, das sich durch die gesamte Bibliografie Woolfs zieht. DeSalvo untersucht diese Metaphern gründlich auf Hinweise auf Traumata und bringt diese in Verbindung mit dem, was die Psychologie über Opfer von Inzest und sexueller Gewalt weiß. Sie verbindet so Wissenschaft mit künstlerischem Ausdruck, was mir sehr gut gefallen hat.

Auch durch Auszüge aus den Tagebüchern der minderjährigen Virginia gestaltet sich das Sachbuch lebhaft und interessant. Obwohl ich schon einiges an Sekundärliteratur über meine Lieblingsschriftstellerin gelesen habe, konnte ich hier sehr viel Neues erfahren und hatte Zugriff auf Texte, die nie der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Dadurch zeichnet sich dieses Buch für mich als ein Leseabenteuer aus, das mir noch mehr gegeben hat, als ich erwartet hatte.

Trotzdem muss ich eine Warnung aussprechen, da sehr explizit auf sexuellen Missbrauch von Kindern und den plötzlichen Tod von Familienmitgliedern eingegangen wird. Teilweise war es auch schwierig, weiterzulesen, weil ich so sehr mit der jungen Virginia mitgefühlt habe. Der Fakt, dass sowohl sie als auch der Großteil ihrer sieben (Halb-)Geschwister ihr Leben lang unter Depressionen gelitten haben, hat mich berührt. Besonders erschreckend war für mich ein Teil des Buches, in dem DeSalvo von Laura, die Halbschwester der Autorin von Die Wellen, erzählte.
Diese wurde von ihren Eltern als anstrengend und geisteskrank eingestuft und nach und nach aus dem gemeinsamen Haushalt verbannt. Als Kind hatte sie keinen Zugang zur Außenwelt und kannte selbst ihre Geschwister kaum, da sie in einem Zimmer am unbewohnten Ende des Hauses eingesperrt war. Dass im viktorianischen Zeitalter der Begriff „Kind“ nicht viel mehr bedeutet hat als „kleine Erwachsene“ war mir bewusst. Aber dass die Misshandlung solche Ausmaße annahm, hat mich schockiert.

Äußerst beeindruckend ist für mich, zu erfahren, dass VW sich aus dieser schweren Kindheit heraus gekämpft und eine Karriere als Schriftstellerin gemacht hat. Auch wenn ihr späteres Leben als Erwachsene immer noch von Restriktionen und Schmerzen erschwert wurde, besaß sie die große Stärke, daraus ihren Feminismus zu ziehen. Sie war damit ihrer Zeit weit voraus, obwohl sie als Kind und Jugendliche nicht die Möglichkeit hatte, sich schulisch zu bilden. Trotzdem lernte sie lesen und schreiben und nahm sich im Alter von 15 Jahren vor, alles aufzuschreiben, was sie erlebte.

Für mich als aufstrebende Autorin und Feministin ist dieses Buch eine große Inspiration. Es hat alle Emotionen in mir ausgelöst, die ich zu empfinden fähig bin und mich wieder einmal vom Genie dieser großartigen Kämpfernatur überzeugt.

Durch die enthaltenen Tagebucheinträge und Erzählungen sah ich mein junges Ich in der jungen VW. Mein schriftstellerisches Ich kann sich mit der erwachsenen Virginia identifizieren, die sich nicht unterkriegen ließ und weiterkämpfte. Ich bin sicher nicht die Einzige, die aus solchen Biografien neuen Mut schöpft, sich selbst stark zu machen und den Schmerzen mit kreativer Schöpfung entgegenzuwirken.

Allen Fans von Virginia Woolfs Leben und Werk kann ich dieses Buch nur ans Herz legen. Vor allem für FLINTA* ist es sicher interessant, hinter die Kulissen der so oft als „idyllisch“ bezeichneten Kindheit dieser großen Autorin zu blicken. Es ist ein Buch über kindliche und weibliche Emanzipation, feministischen Kampf und den Mut, am Leben zu bleiben, um seine eigene Geschichte erzählen zu können. 

Cover des Buches Virginia Woolf (ISBN: 9783596105663)
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Rezension zu "Virginia Woolf" von Louise DeSalvo

Sokrates
Rezension zu "Virginia Woolf" von Louise DeSalvo

Die Autorin, selbst Dozentin für Literaturwissenschaft in den USA, hat nach gut 15 Jahren intensiver Arbeit an Virginia Woolfs Werk dieses Buch geschrieben. Sie beschäftigt sich mit einer Frage, die bislang in der Forschung wenig diskutiert wurde: welchen Einfluss hatten sexuelle Belästigung und sexuelle Gewalt auf das Leben von Virginia Woolf? Louise DaSalvo geht davon aus, dass – auch folgend aus der viktorianischen Sexualmoral – in der Familie Stephen, die nach der Heirat von Virginias Eltern immerhin 11 Personen zählte, sexuelle Übergriffe mehr oder minder starker Intensität an der Tagesordnung waren. Dies wäre auch durch die Familienmoral und Erziehungsethik bedingt gewesen; hinzu kam eine restriktive Rolle der Frau in der patriarchalen Familie. So waren Vanessa und Virginia zeit ihres Lebens zurückgesetzt, spielten nur eine untergeordnete Rolle, latent depressiv. Die Rolle zweier älterer Schwestern (Laura und Stella) waren Beispiel genug für eine Familienordnung, die auf die Stephen-Schwestern erdrückend, beängstigend, entwürdigend wirkte.
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Allerdings – und dies ist erschreckend – wurden sämtliche Anzeichen und Indizien in Biographie und Schaffen beider Frauen bislang völlig falsch interpretiert. Sämtliche Biographen taten sich schwer, das von Repressalien und Zwängen geleitete Familienklima richtig zu deuten; der sexuelle Missbrauch durch die Duckworth-Söhne an den Stephen-Mädchen wurde – selbst von Quentin Bell – nie ernst genommen. Erst Louise DeSalvo erkennt richtig, dass die vielen literarischen Metapher und stillen Andeutungen Virginias anders gedeutet werden können und ihr Selbstmord auch eigentlich keine andere Deutung zulässt. Vordergründig hat sie sich vielleicht wegen der weltpolitisch bedrohlichen Lage 1941 das Leben genommen, eigentlich jedoch waren ihre Probleme und der Wunsch, aus dem Leben zu scheiden, eine seit der Kindheit immerfort gärende Problematik.
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Das Buch sollte man als letztes biographisches Werk über Virginia Woolf lesen, so mein Eindruck. Beginnen sollte man mit den klassischen Biographien, hier vor allem zu nennen Quentin Bell oder Hermione Lee. Beide Autoren, insbesondere die letzte jedoch, sind recht aktuelle Biographien, die die Thematik des sexuellen Missbrauchs zumindest ansprechen, allerdings auch ungenügend problematisieren. Louise DeSalvo ist dann als Abschluss zu lesen: es korrigiert das von allen Biographen er-zeugte Bild der konfliktfreien, romantischen großbürgerlichen Familie Stephen, wo die Töchter Zugang zu Bildung hatten und ein harmonischer Umgang gepflegt wurde. Außerdem hinterfragt keiner der bisherigen Biographien die ständig wiederholte Meinung, dass Virginias psychische Auffälligkeiten krankheitsbedingt waren; selbst Quentin Bell meint, sie hätte an einer Gehirnerkrankung gelitten. Louise DeSalvo räumt mit diesem Mythos auf, bedingt durch die Psychologie der Alice Miller, die mittlerweile zulässt, dass man akzeptiert, sexueller Missbrauch und familiäre Situationen bringen entsprechende psychische Auffälligkeiten hervor.
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Zum Schreibstil der Autorin sage ich wenig: sehr gut geschrieben, flüssig, problemlos zu lesen und zu verstehen. Ein Text, der sich auch dem Laien erschließt, ob bei biographischen oder psychologischen Fakten.

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