Cover des Buches Du wolltest es doch (ISBN: 9783551583864)
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Rezension zu Du wolltest es doch von Louise O'Neill

Wenn das Opfer auf einmal zur Täterin wird ...

von Anni-chan vor 6 Jahren

Rezension

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Anni-chanvor 6 Jahren

Seit ein paar Wochen stolpert man ständig über “Du wolltest es doch” von Louise O’Neill. Es vergeht kaum ein Tag, an dem dieses Buch einem nicht in den sozialen Medien begegnet. Schon in der Vorschau ist mir “Du wolltest es doch” ins Auge gefallen, woraufhin es auf meiner Wunschliste gelandet ist, und nun wollte ich auch wissen, was genau es mit der Story auf sich hat.

Bereits der Klappentext hat mich schlucken lassen und noch kurz vorne weg: Ich finde es wahnsinnig wichtig, dass schwierige Themen wie Vergewaltigung und Missbrauch in der zeitgenössischen Jugendliteratur aufgegriffen werden. Aus diesem Grund verdienen sowohl die Autorin als auch der Carlsen Verlag meinen allergrößten Respekt dafür, dass sie dieses Buch auf den deutschen Markt gebracht haben.

Die Geschichte dreht sich um Emma. Emma ist ein typischer Teenager, gerade achtzehn geworden und lebt in einer Jeder-kennt-jeden-Kleinstadt in Irland. Vollkommen normal, wenn man davon absieht, dass Emma alles andere als eine Sympathieträgerin ist. Sie ist nicht gerade das Mädchen von nebenan, sondern die Art Mädchen, die lügt und stiehlt, um sich selbst ins beste Licht zu rücken, falsche Entscheidungen trifft, um andere zu beeindrucken, und ihr riesiges Ego erledigt den Rest.

Nein, also ich konnte Emma so überhaupt nicht leiden, aber – und das ist der Knackpunkt – ich habe sie verstanden und konnte ihre Handlungen nachvollziehen. Schon in ihrer Erziehung wurde ihr einbläut, dass nichts über Schönheit und Begehren geht und obwohl das keine Entschuldigung für ihr Verhalten ist, so zeigen schon die ersten Kapitel im Buch, dass diese Fehler nicht allein bei ihr liegen, sondern auch bei der Gesellschaft, die jungen Mädchen solche Werte in frühster Kindheit vermitteln. Emma soll also keine Sympathieträgerin sein, denn es geht nicht darum, dass man sie mag. Es geht um das, was mit ihr geschieht. Und mich für meinen Teil hat es trotz der Antipathie gegen die Protagonistin mehr als nur erschüttert.

Louise O’Neill nimmt kein Blatt vor den Mund, wie sie die Ereignisse schildert. Schonungslos und direkt erzählt sie eine Geschichte, wie sie (leider) viel zu oft passiert. Emmas Gefühle stehen dabei im Vordergrund, wirken oft abgehakt und inkohärent, erzielen aber den gewünschten Effekt. Mehr als nur einmal hat mich Emmas Gedankenwelt sprachlos und schockiert zurückgelassen, so dass ich das Buch erst einmal beiseite legen musste.

Auch die anderen Menschen in dem irischen Städtchen spielen in die Handlung rein, schließlich kennt jeder jeden. Die Bewohner dort sind eine Gemeinschaft. Bis zum Tag der Party. Bis zu dem Tag, an dem Emma das Schweigen gebrochen hat und sie auf einmal nicht mehr Emma war, sondern das Mädchen aus Ballinatoom. Kaum jemand glaubt ihr, dass sie das Opfer dabei war. Was hat sie auch erwartet, wenn sie in so einem Kleid auf eine Party geht? Man hat sie ja nicht gezwungen, etwas zu trinken. Außerdem sind die Jungs, die sie beschuldigt, alle anständige Bürger. Die würden so etwas niemals tun! Und Emma will nun ihr Leben zerstören! Sie ist doch selbst schuld! Nicht einmal ihre Eltern stehen voll und ganz auf ihrer Seite, glauben sie doch insgeheim, dass Emma eine Mitschuld trägt.

Selbst Stunden nachdem ich “Du wolltest es doch” beendet habe, weiß ich nicht, wie ich Worte finden und die Gefühle, die dieses Buch in mir ausgelöst hat, beschreiben soll. Noch immer bin ich erschüttert und sprachlos, spüre die Wut auf die Menschen in Ballinatoom, die das Bild der Gesellschaft in Bezug auf Vergewaltigungen und Missbrauch darstellen, und auf das Ende der Geschichte, das gleichermaßen unbefriedigend wie realistisch war und mich (leider) nicht überrascht hat. Ich verstehe nun, wieso gerade die letzten Seiten die Gemüter spalten.

Ganz davon abgesehen, bietet dieses Buch massig Diskussionsstoff und ich finde gut und wichtig, dass darüber gesprochen wird und die Geschichte Wellen schlägt, denn das soll sie auch. Louise O’Neill macht in “Du wolltest es doch” auf ein Thema aufmerksam, das von der Gesellschaft immer noch in ein falsches Licht gerückt wird. Sie regt zum Nachdenken an und sorgt hoffentlich auch zum Umdenken. Wenn ein Buch etwas verändern kann, dann ist hiermit bereits der erste Schritt getan.

Eigentlich wäre das jetzt ein super Punkt, um den Cut zu machen und die Rezension zu beenden, aber so gut und wichtig dieses Buch auch ist, ich habe noch ein paar Worte zum Thema Schreibstil, die ich mit euch teilen möchte. Die Autorin bedient sich einem sehr groben, direkten Schreibstil, was einerseits sehr gut zur Story passt, mich allerdings kaum Sätze hat lesen lassen ohne zu stolpern. So war die erste Hälfte stiltechnisch ein wahrer Kampf. Dahingegen konnte ich mich in der zweiten Hälfte sehr gut damit abfinden. Auch wenn mich hin und wieder die Rückblenden in Klammern aus dem Lesefluss geworfen haben. Das ist allerdings der einzige Kritikpunkt, den ich anzubringen habe. (So, jetzt bin ich fertig.)

Fazit

“Du wolltest es doch” von Louise O’Neill gehört zurecht zu den meist-diskutierten Büchern des Jahres. Es greift eine schwierige Thematik auf und stellt diese so schonungslos direkt da, dass beim Lesen die unterschiedlichsten Emotionen von Sprachlosigkeit über Erschütterung bis hin zu Wut über einen kommen. Einzig der Schreibstil konnte mich nicht ganz überzeugen.

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