Als das Buch "Aurora Floyd" 1863 das erste Mal auf englisch veröffentlicht wurde, war es bestimmt eine kleine Sensation. Die Autorin Mary Elizabeth Braddon hatte in ihrem Roman nicht zuletzt die gesellschaftlichen Zwänge und Vorurteile in den Fokus gestellt. Alles kreist sich im Grunde um die Frage, was ein junges Mädchen aus "gutem" Haus tun darf, um auf im Auge der damaligen Gesellschaft ihren Ruf zu behalten - oder eher, was sie nicht tun darf.
Aurora, die junge und einzige Tochter des Bankiers Archibald Floyd weiß, dass sie eines Tages reich erben wird und das weiß auch die Gesellschaft. Als sie nach einem Auslandsjahr zurück nach Hause kommt, scheint sie verändert, verängstigt und als Leserin hatte ich schnell verstanden, dass sie eine Erfahrung mitgebracht hat, die sie gerne revidieren würde. Doch bis zur Auflösung dieses Geheimnisses musste ich lange warten - und plötzlich, also quasi auf den letzten Metern wurde auch der Krimi-Aspekt in die Geschichte eingeführt, wenn auch für meinen Geschmack unverhältnismäßig spät.
Der Verlag hatte das Buch als viktorianischen Krimi tituliert - in meinen Augen ist das eher nicht zutreffend, denn das, was auf dem Klappentext groß angekündigt wird, dient der Handlung im Grunde nur zur Auflösung des Geheimnisses der Protagonistin und steht defintiv nicht im Mittelpunkt.
Was mir die Suppe dann jedoch richtig versalzen hat ist das Hintergrundwissen zu diesem Buch, das ich in einer Leserunde sammeln durfte. Der Verlag hat das Buch nicht nur als viktorianischen Krimi bezeichnet, sondern auch darauf hingewiesen, dass es "übersetzt und bearbeitet" wurde. Hier hätte ich erwartet, dass man in einem Vor- oder Nachwort darauf eingeht, dass ganze Kapitel des Originals weggelassen wurden. In meinen Augen wurde in das Vermächtnis der Autorin zu sehr eingegriffen damit. Wehren kann sie sich ja ohnehin nicht mehr, aber ich finde es wäre zumindest fair gewesen darauf hinzuweisen, wie und vor allem warum so mit ihrem Werk umgegangen wurde.
Die Schreibe der Autorin, die Einführung der Charaktere empfand ich, vor dem Hintergrund einer übersetzten Fassung, gut und ich würde auch gerne noch mehr von M.E. Braddon lesen - allerdings dann im englischen Original. Es tut mir auch ein wenig leid, dass ich das Buch aufgrund der genannten Gründe diese niedrige Punktzahl geben muss, da ich den Gedanken, älteren Werken mit einer Neuaufmachung eine neue Chance zu geben schön finde. Auch das Cover der neuen Fassung finde ich zumindest optisch sehr schön und hat mit dazu beigetragen, dass ich das Buch lesen wollte. Aber der äußere Schein hat bei diesem Buch getrübt.