Für einige Bücher muss der Leser erst reif werden. So wie man als Gemeinschaftssuchender nicht um das Buch »Gemeinschaftsbildung: Der Weg zu authentischer Gemeinschaft« von dem amerikanischen Arzt und Psychotherapeut M. Scott Peck herumkommt, ist das Buch »der wunderbare Weg«, erstmals vor 32 Jahren veröffentlicht, immer noch ein aktuelles Grundlagenwerk einer ganzen Literaturgattung: ein Selbsthilfebuch im Bereich spirituelle Psychologie.
Auch wenn das Buch bei Goldmann in der Reihe »Grenzwissenschaften/Esoterik« erschienen ist, hat es damit kaum etwas zu tun. Nichts Spekulatives schwingt in den Betrachtungen mit, sondern fundierte Wissenschaft, genaue Beobachtung, Menschenkenntnis und ein guter Schuss Philosophie.
Am besten gefallen hat mir das Kapitel über die Disziplin, um die viele naive Esoteriker einen großen Bogen machen, weil der Begriff so negativ mit Anstrengung und Schwierigkeiten konnotiert wird. Peck schreibt: »Das Leben ist schwierig. Das Leben ist eine Serie von Problemen. Was das Leben schwierig macht, ist, dass der Prozess, sich Problemen zu stellen und sie zu lösen, schmerzhaft ist. Eben wegen der Schmerzen, die Konflikte auslösen, nennen wir sie Probleme. Aus diesem gesamten Prozess jedoch, Problemen zu begegnen und sie zu lösen, gewinnt das Leben seinen Sinn.« Scott Peck nennt und erläutert vier Werkzeuge der Disziplin, mit denen man dem Schmerz von Problemen konstruktiv begegnen kann: Aufschub von Belohnungen, Akzeptieren von Verantwortung, Hingabe an die Wahrheit und Ausgewogenheit. Meinen blindesten Fleck hatte ich bei Belohnungsaufschub, denn ich habe mich bei allen Gelegenheiten um die unangenehmen Dinge gedrückt und nur die Dinge gemacht, die ich sowieso gut konnte, so war natürlich spirituelles Wachstum nur bedingt möglich. Viele Menschen tun alles, um schmerzvolle Erlebnisse, die sie aus traumatischen Erfahrungen gesammelt haben, in Zukunft zu vermeiden, und landen so unweigerlich in der Neurose oder Psychose. Jetzt das Unangenehme zu wählen in der Hoffnung auf spätere Belohnung, das ist reifes und verantwortungsbewusstes Handeln, an dem der Mensch wachsen kann.
Sehr kontrovers wird es im Kapitel Liebe, wo der Psychotherapeut in vielen Fallbeispielen aus seiner psychoanalytischen Praxis erklärt, wie aus den Schwierigkeiten oder dem Scheitern im Lebensalltag und in Beziehungen Kraft und Wachstum generiert werden kann, wie Menschen zu eigenständiger Urteilskraft, Reife und liebender Selbsterweiterung kommen können. Die Liebe ist somit auch das zentrale Thema des Buches: Mehr philosophisch als analytisch unterscheidet Peck zwischen »Verliebtheit«, dem »Gefühl von Liebe«, »romantischer Liebe« und »echter Liebe«. Mit letzterer meint er die bewusste Hinwendung zu einem oder mehreren anderen Menschen, um im Zusammenklang gegenseitiger Verantwortung deren und das eigene spirituelle Wachstum zu fördern.
Spannend wird es im Kapitel »Liebe und Psychotherapie«. Nach Pecks Auffassung muss Psychotherapie ein Prozess echter Liebe sein. Dann stellt er die ketzerische Frage: »Wenn Psychotherapie echte Liebe ist, sollte Liebe dann immer psychotherapeutisch sein? Wenn wir unseren Ehepartner, unsere Eltern, unsere Kinder, unsere Freunde wirklich lieben, wenn wir uns selbst ausdehnen, um ihr spirituelles Wachstum zu fördern, sollten wir dann mit ihnen Psychotherapie praktizieren? Meine Antwort lautet: gewiss.« Ein Buch für jeden Therapeuten und jeden, der eine Therapie machen möchte.