Rezension zu "The French Wars of Religion, 1562-1629 (New Approaches to European History, Band 36)" von Mack P. Holt
Andreas_OberenderWill man sich als Deutscher mit der Geschichte Frankreichs im Zeitalter der Religionskriege (1562-1598) beschäftigen, so findet man nur mit Mühe Bücher, die als Einstiegslektüre geeignet sind. Auf dem deutschen Buchmarkt gibt es keine Werke zu diesem Thema, weder Bücher aus der Feder deutscher Historiker noch Übersetzungen aus dem Französischen oder Englischen. Eine vorzügliche Einführungs- und Überblicksdarstellung ist das Buch des amerikanischen Historikers Mack Holt. Es ist bedauerlich, dass kein deutscher Verlag Interesse daran hatte, das Buch auf Deutsch herauszubringen. Holt gehört zu den führenden Frankreichexperten innerhalb der amerikanischen Historikerzunft. Sein Buch über die Religionskriege erschien zuerst 1995. Für die zweite Auflage von 2005 nahm Holt einige Ergänzungen am Text vor. Die Geschichtswissenschaft hat die Religionskriege lange vernachlässigt. Erst in den 1970er Jahren wuchs das Interesse an dieser dramatischen Epoche der französischen Geschichte. Holt fasst die Ergebnisse der französischen und angelsächsischen Forschung seit 1980 meisterhaft zusammen. Sein Buch besticht durch zahlreiche Vorzüge: Mit rund 220 Textseiten ist die Darstellung angenehm kompakt. Holt konzentriert sich durchweg auf das Wesentliche. Ebenso rühmenswert ist sein Bemühen um die verständliche Aufbereitung eines Themas, das den Neuling durch seine Komplexität verwirrt und einschüchtert. Das Buch, das in erster Linie für den universitären Seminarbetrieb gedacht ist, enthält eine detaillierte Chronologie, mehrere Landkarten und Stammtafeln, Kurzbiographien wichtiger Persönlichkeiten und eine thematisch gegliederte Bibliographie, die allerdings nur Werke angelsächsischer Autoren und Bücher französischer Historiker in englischer Übersetzung nennt. Die Bibliographie vermittelt daher keinen Eindruck vom Umfang und vom Reichtum der französischen Forschung über die Religionskriege. Im Gegensatz zu vielen anderen Autoren lässt Holt sein Buch nicht mit dem Jahr 1598 und dem Edikt von Nantes enden. Er behandelt auch die beiden letzten Religionskriege während der Herrschaft Ludwigs XIII. (1621/22 und 1627-29). Im Ergebnis dieser Kriege verloren die Hugenotten einen Teil der Rechte, die ihnen Heinrich IV. mit dem Edikt von Nantes gewährt hatte.
Das Buch ist in acht Kapitel gegliedert. Zunächst erörtert Holt die Vorgeschichte der Religionskriege. In den 1550er Jahren fand die Reformation in ihrer calvinistischen Variante zahlreiche Anhänger in Frankreich. Die französischen Protestanten (Hugenotten) blieben gleichwohl stets eine kleine Minderheit. Es fehlte ihnen aber nicht an Selbstbewusstsein und auch nicht an der Bereitschaft, für das Recht auf Religionsausübung zu kämpfen. Die Kapitel 2 bis 7 behandeln in chronologischer Abfolge die einzelnen Phasen der Religionskriege von 1562 bis 1629. Die politischen, religiösen und militärischen Aspekte des Langzeitkonfliktes finden gleichermaßen Berücksichtigung. Außerdem bettet Holt die Religionskriege in den europäischen Kontext ein. Das achte und letzte Kapitel ist wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Aspekten gewidmet. Holt nimmt nicht nur die politische Führung und die Hauptstadt Paris in Blick. Er fragt auch danach, wie das Volk in den Provinzen unter den Kriegen zu leiden hatte. Unter Rückgriff auf Fallstudien französischer und angelsächsischer Historiker arbeitet er heraus, wie sich das Geschehen von Region zu Region, von Stadt zu Stadt unterscheiden konnte. Warum eskalierte der Konfessionskonflikt zwischen Katholiken und Protestanten zum offenen Bürgerkrieg, und warum dauerten die Religionskriege mehrere Jahrzehnte? Holt betont, dass ein Großteil der katholischen Bevölkerungsmehrheit durch die Glaubensspaltung den Zusammenhalt der Gesellschaft bedroht sah. Radikale Katholiken lehnten Zugeständnisse an die Protestanten strikt ab. Nach dem Unfalltod Heinrichs II. 1559 geriet das Haus Valois in eine Krise. Heinrichs nacheinander regierende Söhne, Franz II., Karl IX. und Heinrich III., waren schwach und überfordert. Die Königinmutter Katharina von Medici wollte den Hugenotten begrenzte Religionsfreiheit gewähren. Doch die Toleranzpolitik war gegen den verbissenen Widerstand der Katholiken nicht durchzusetzen. Der Hass der Katholiken auf die vermeintlichen Häretiker entlud sich im Spätsommer 1572 in den Massakern der Bartholomäusnacht, nicht nur in Paris, sondern auch in etlichen anderen Städten. Über Jahrzehnte hinweg besaß die Krone nicht die nötigen Machtmittel, um eine politische Linie – entweder Toleranz oder Repression – konsequent umzusetzen. Daher zog sich der Konflikt quälend hin. Erst Heinrich IV., mit dem das Haus Bourbon auf den Thron gelangte, schaffte es, das geschundene und erschöpfte Land zu befrieden.
Mehrfach gibt Holt zu bedenken, dass Katharina von Medici und Heinrich IV. nicht zu Vorkämpfern eines "modernen", säkularen Politikverständnisses stilisiert werden sollten. Die dauerhafte Koexistenz zweier Konfessionen war nie Katharinas und Heinrichs Ziel. Die begrenzte Toleranz gegenüber den Hugenotten war stets als vorübergehender Zustand gedacht; sie galt als geringeres Übel im Vergleich zur gewaltsamen Austragung des Religionszwistes. Mittelfristiges Ziel war die Wiedervereinigung der Konfessionen. Auch Heinrich IV. ließ keinen Zweifel an seinem Wunsch, die Protestanten durch friedliche Bekehrung in den Schoß der Katholischen Kirche zurückzuführen. Sein Sohn und Nachfolger, Ludwig XIII., nahm den Hugenotten das Recht, sich politisch zu organisieren und eigene Truppen zu unterhalten, tastete aber das Recht auf Religionsausübung nicht an. Ludwig XIV. schließlich entschied sich zur Zwangsbekehrung der Protestanten und widerrief das Edikt von Nantes 1685. Auf knappem Raum bietet Mack Holt einen exzellenten Überblick zur Geschichte des Konflikts zwischen französischen Katholiken und Protestanten. Mangels Alternativen ist das Buch deutschen Lesern wärmstens zu empfehlen. Einziger Wermutstropfen: Bei der Überarbeitung des Textes für die zweite Auflage haben Autor und Verlag einige sachliche Fehler nicht bemerkt und korrigiert. Der letzte Burgunderherzog Karl der Kühne wurde nicht Opfer eines Attentats (S. 32); er fiel 1477 auf dem Schlachtfeld. Margarete von Valois, die erste Gemahlin Heinrichs IV., war keine Protestantin (S. 177); sie blieb ihr Leben lang Katholikin. Heinrich II. war nicht der Großvater Heinrichs IV. (ebenfalls S. 177). Wäre er es gewesen, so wären Margarete von Valois und Heinrich von Navarra Tante und Neffe gewesen! Concino Concini, der Günstling Marias von Medici, wurde im April 1617 nicht "eingesperrt und später getötet" (S. 181); er wurde bereits im Zuge der von Ludwig XIII. befohlenen Verhaftung erschossen.
Seit 2005 sind einige wichtige Bücher über die Religionskriege, die Bartholomäusnacht, das Haus Guise und Heinrich IV. erschienen. Wer sich näher mit der Geschichte Frankreichs im 16. und frühen 17. Jahrhundert beschäftigen möchte, sollte diese Werke zur Kenntnis nehmen (Englisch- und Französischkenntnisse vorausgesetzt):
+ Stuart Carroll: Martyrs and Murderers. The Guise Family and the Making of Europe (2009).
+ Jean-Marie Constant: Henri IV, roi d’aventure (2010).
+ Arlette Jouanna: La Saint-Barthélemy. Les mystères d’un crime d’état (2007).
+ Nicolas Le Roux: Les guerres de religion, 1559-1629 (2009). Band 6 einer 13teiligen Geschichte Frankreichs, die im Verlag Belin erschienen ist.
+ Nicolas Le Roux: Les guerres de religion (2016). Ein Bändchen in der bekannten, traditionsreichen Reihe "Que sais-je?".
+ Jean-Christian Petitfils: Henri IV (2021).
+ Vincent J. Pitts: Henri IV of France. His Reign and Age (2009).